Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
guide« – Mishra über Mishra – hat mir zwei vergnügliche Stunden geschenkt. Beim Abschied merke ich, dass mich der Fantast angesteckt hat. Mit seinem lässigen Sosein. Für einen Unerleuchteten ist der Weg zu einem Erleuchteten verdammt kräftezehrend. Trotzdem, dank des beschwingten Hindus schaffe ich den restlichen Nachmittag über Momente wunderlicher Gleichgültigkeit. Ich sehe den Dreck, den Irrsinn, die garantierte Aussichtslosigkeit – und bleibe gelassen. Keine träge Selbstzufriedenheit soll daraus werden, nur für diesen (halben) Nachmittag will ich mir bedenkenloses Glück erlauben. Zudem ist ein Gelassener für seine Umgebung entschieden erträglicher als jemand, der pausenlos grimmig mit der Welt abrechnet.
Nachts fällt mir noch ein Satz von Jack Kerouac ein: »Denn der einzige Grund für das Leben oder eine Geschichte ist doch: Was passiert als nächstes?« Das Phänomenale in diesem Land ist, dass etwas passiert. Laufend. Wer Indien nicht schwer bepackt mit Storys und anderen Unglaublichkeiten verlässt, dem kann keiner helfen.
Um halb sieben morgens mit einem Rikscha-Mann ein motorisiertes Vehikel suchen, das nach Dorea fährt, dem nächsten Bahnhof. Und wir gleiten durch den Frühnebel, über eine verlassene Dorfstraße. Märchenstill. Das leise Quietschen der Naben, das Holpern der Räder, der Atem von Jeevan, dem Fahrer. Wie durch Milch tauchen wir, wie Watte liegt die Welt vor uns.
Der Bus ist bereits weg, aber einen Jeep gibt es. Fröhlicher Morgen, denn der Besitzer verspricht sofort, dass ich der einzige Fahrgast bleibe, wenn ich für die sechs (offiziellen) Plätze bezahle. Wie beschwingt sie die Realität verheimlichen. Noch vor dem Start sind wir zu dritt. Angeblich steigen die beiden Neuzugänge ein paar Ecken weiter wieder aus. Ich ergebe mich sofort, will dankbar sein, wenn zuletzt der verfügbare Raum für meinen Hintern reicht.
Wir brausen los, das soll zählen. Die Strecke ist hundsgemein und Rennfahrer Chadran ist im »bull age«, seine Hormone glühen, der 22-Jährige kurvt wie ein Stier über die marode Piste. Dazwischen Vollbremsungen, um weitere Passagiere einzuladen. Seltsame Sachen passieren. Der Mann neben mir, der nur aufgrund meiner Nachsicht eine Mitfahrgelegenheit bekam, will nicht rücken, als ein krummes Bäuerlein zusteigt. Also rücke ich, nun ab sofort als Sardine unterwegs. Ein Radfahrer blickt verschreckt zu uns zurück, als er die Orkan-Hupe vernimmt, reißt den Lenker nach links, übersieht ein Schlagloch, verliert das Gleichgewicht und segelt kopfüber zu Boden. Meine Aufforderung zu halten wird ignoriert. Ich bin der Letzte, der hier mitreden darf. Der Alte wird es überleben, heißt es, »no problem«. Jetzt hat Indien das Kommando übernommen, jetzt zählt nur noch, dass wir vorankommen. Die Bevölkerungsexplosion explodiert weiter, das Wort »full« ist hierzulande ein grenzenloses Wort. Als wir um 8.35 Uhr ankommen, kommen gleichzeitig mit mir neunzehn Männer, Frauen und Kinder an.
In den Bahnhof flitzen und ein Ticket nach Hajipur besorgen. Hier schläft das Land noch. Ich frage jemanden und nichts passiert. Ich frage nochmals, wieder nichts, nur dastehen und mich anschauen. Ich frage ein drittes Mal und stampfe gleichzeitig mit dem Fuß auf. Hurra, jetzt wacht einer auf und sagt: »Yes, the train leaves at nine thirty.« Das stimmt zwar nicht, aber er ist mich los. Das so Vertrackte: Man sieht es von außen keinem an, ob er bereits vorhanden ist oder noch döst. Ich habe die allereinfachsten Zeitgenossen getroffen, die sofort und quicklebendig eine nützliche Auskunft erteilten. Sie hatten nie eine Schulbildung erfahren, waren aber (noch) nicht von diesem Tsetsefliegen-Gift infiziert, dieser Fähigkeit, am helllichten Tag in Tiefschlaf zu versinken.
»Yes, no, sure, maybe, yes, yes«, irgendwann sitze ich im richtigen Zug und jeder überschüttet mich wieder mit Liebe. Das Land bleibt ein Rätsel. Der Schaffner sieht mir die falsche Fahrkarte nach (das ist die warme Seite des Phlegmas), ich bekomme ein feines Plätzchen am Fenster, darf schauen und lesen. Ich habe mir die vergnüglichste Lektüre mitgebracht, die Matrimonials , die Heiratsannoncen, die an jedem Wochenende in der Times of India erscheinen. Lesen als sinnliches Vergnügen, denn ein Fleischmarkt, ein Geldmarkt, eine Mischung aus hemmungsloser Protzerei, verzweifelter Suche und zähem Aberglauben wird dem Leser geboten. Nur Initiierte können die Kürzel entziffern: »We search
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