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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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kleiner Tempel mit einer Buddha-Statue, diesmal sitzend. Wie fad, wie mich Sightseeing langweilt. Als hätte ich nicht genug tote Steine gesehen. Aber ich komme mit einem Mönch ins Gespräch, der eine mitreißende Geschichte weiß. Sie berührt, ob sie nun eine Mär ist oder ein Tatsachenbericht. Denn die »innere Wahrheit« der Story steht außer Zweifel: Buddha sagt zu Ananda, seinem Lieblingsschüler, dass er heute Nacht sterben werde. Er möge ihm bitte Wasser aus dem nahen Fluss holen. Ananda holt das Wasser, aber es ist schmutzig. Buddha: »Warum bringst du mir das? Ich habe dich immer gut unterrichtet, womit habe ich das verdient? Geh nochmals, aber tauche diesmal tief ein.« Beschämt macht sich Ananda ein zweites Mal auf den Weg und kommt diesmal mit klarem Wasser zurück. »Schau«, sagt Buddha, »der Vorfall ist ein gute Parabel für unser Leben. Je seichter du es lebst, umso seichter und unklarer sind deine Erfahrungen. Und je tiefer du gehst, umso tiefer und klarer werden deine Erkenntnisse.«
    Als wir die kleine Anlage verlassen, sprintet auf der anderen Straßenseite ein Mann vorbei, ein paar Meter hinter ihm sprinten zwei Polizisten, den Lathi-Stock schon im Anschlag. Zuletzt eine Meute von vielleicht zwanzig Leuten, laut johlend. Ich sprinte hinterher und erfahre, dass der Flüchtige ein Handy gestohlen hat. Ich halte umgehend inne, denn das ist der Mühe nicht wert. Dennoch, die Szene verführt zum Grinsen, sie ist zutiefst menschlich. Da mögen links und rechts Erleuchtete sterben, geklaut wird trotzdem. »La condition humaine« ist ein zähes Tier, ziemlich gefeit gegen jeden moralischen Aufschwung.
    Auf Mishras Motorrad fahren wir zum dritten Platz, zum Ramabhar Stupa . Bescheidenerweise steht auf dem Schild zum Eingang das Wort »possibly«, vielleicht liegt hier die Stätte, an der Buddha nach seinem Tod verbrannt wurde. Als 80-Jähriger. Die wuchtige Ziegel-Konstruktion ist über fünfzehn Meter hoch und hat an der Basis einen Durchmesser von knapp fünfzig Metern. Ausgegraben wurde die Anlage zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Niemand weiß, woher der Name Ramabhar kommt. Der Teich daneben heißt auch so, wie das nahe Gefängnis. Im warmen Spätnachmittagslicht setzt Mishra wieder zu einem fantasievollen Höhenflug an und erzählt von »Reliquien«, die hier gefunden wurden (es wurde nicht eine einzige gefunden). Sein Fabulieren erinnert mich an jene wendigen Mönche in Europa, die umtriebig in Klöstern (christliche) Knochen versteckten und kurz darauf ausriefen, dass schon wieder die Überreste eines Heiligen entdeckt wurden. Damit aus der Klosterruine ein Wallfahrtsort wird, sprich, Geld in die Kassen fließt.
    Ananda, so eine andere Legende, soll beim Tod Buddhas geweint haben. Trotz jahrzehntelangen Trainings des »Nicht anhaftens«, des Wissens, dass nichts dauert und alles ein Ende haben muss. So gibt es die Theorie und so die Wirklichkeit. »Loslassen« ist die Theorie und den einen verlieren, den man liebt, das ist die Wirklichkeit. Die schmerzt und zu Tränen rührt.
    Der Stupa liegt in einem Garten, kein Massenbetrieb, nur still, nur das Flüstern von ein paar Liebespaaren. Ich finde, das ist ein gebührlicher Ausdruck von Andacht und Respekt. Wohl sinnlicher als kaltes Gebein und dubiose Staubreste. Als wir das Tor verlassen und zwei Bettler heranschlurfen, fällt mir eine Leserin ein, die mich vor kurzem fragte, wie ich mitten in Indiens grenzenloser Armut reisen könne, ohne depressiv zu werden. Ich formuliere die Frage um und will von Mishra wissen: »Warum gibt es in deinem Land noch immer so viel Elend?« Und der 56-Jährige – ganz Inder, ganz ähnlich Yudai, dem Wahrsager vom Ganges – antwortet ohne die geringste Irritation: »I leave the answer to god.« Das ist natürlich kein Zeichen von Religiosität, sondern von Denkfaulheit. Und die standhafteste Garantie für die Heiterkeit, die der Mann ausstrahlt. Und die er mit mir teilt, mir schenkt. Keine rettungslos unlösbaren Probleme verdunkeln den Heiteren. Anders formuliert: Meine Depressionen sind nicht »besser«. Denn sie sind nur depressiv und in keiner Weise dem Millionenheer ärmster Schlucker von Nutzen. »Betroffenheit« ist das Lieblingskostüm des notorischen Gutmenschen. Es schmückt ihn in allen Lebenslagen.
    Nein, ich werde nicht beim Blick auf die 800 Millionen indischer Habenichtse ohnmächtig. Denn schon seit Jahren bin ich als ohnmächtiger (sprich machtloser) Fassungsloser unterwegs.
    Der »freelance

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