Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Zen-Meister »the call« nannte. Er musste es wissen, denn Hunderte hatte er bereits unterrichtet. Er wollte damit sagen, dass jemand eine innere Stimme hören muss. Penetrant genug, um den Verwirrten anzufeuern. Damit er sich auf den Weg macht. Kein überirdisches Gewisper, natürlich nicht, auch keinen esoterischen Schmalz von fernen Planetoiden.
Nein, eher ein Drängen, verbunden mit einer gewissen Sicherheit, dass die Entscheidung für Meditation die richtige ist. Sie kommt wie für ein Kind, das jemanden Geige spielen hört. Und Tage später mit dem Unterricht beginnt. Wie für einen 30-Jährigen, der sein tausendstes Buch liest und erst jetzt begreift, dass er selbst schreiben will. Mancher Ruf wird sofort vernommen, ein anderer braucht Jahre, um sich Gehör zu verschaffen.
In Hagia Eleni, einem Dorf in den Bergen von Mazedonien, traf ich auf einer Reise durch Griechenland die alte Lydia. Sie gehörte wie ein Dutzend anderer Männer und Frauen zu den Anaste narides , den Feuertänzern. Einmal im Jahr, immer im Mai, rannten sie über brennende Kohle. Und jauchzten. So schön war es, so berauschend. Bauern und Bäuerinnen feierten einen alten Brauch aus hellenischer Vorzeit. Viele Legenden schwirrten, eine so blumig und fantastisch wie die andere. Lydia, pfiffiges Bauernherz, hatte in der Schule etwas Englisch gelernt. Bei ihr habe ich auch das Wort »call« gehört. Mehrmals stand sie am Rand des rotgelb glühenden Teppichs – und kehrte um. »Weil ich den Ruf des Dionysos nicht höre. Ohne ihn verbrenne ich. «Und irgendwann rief Dionysos und Lydia begann zu beben und mit den Füßen aufzustampfen. Und endlich über die 1200 Grad zu rennen. Hingegeben, unberührbar. Zugegeben, so dramatisch wird keiner zu Vipassana abberufen. Dafür aber sind die Konsequenzen drastischer. Vier Meter überqueren dauert eine Sekunde, Vipassana ist ein Bund fürs Leben.
Gang zum Frühstück, Blick hinauf in den bewölkten Himmel. Durch eine einzige Öffnung der Wolken dringt die Sonne, lässt ein paar Strahlen in den Garten fallen. Ich grinse vor Dankbarkeit. Ich würde vor Gericht aussagen und unter Eid beschwören, dass Meditation die Begabung zur Lebensfreude stärkt.
Ich brauche diese »Beweise«, es gäbe sonst keinen Grund, hier meine Zeit zu verhocken. Der alleinige Ertrag, der mich interessiert, ist die Zunahme der Lebensintensität. In welcher Situation auch immer. Mögen die anderen für den Gleichmut talentiert sein, ich will den Übermut trainieren, ich will vibrieren.
In Frankreich wird gerade ein Mann durch die Medien gereicht, der 27 Jahre in ein paar Dutzend Zuchthäusern verbrachte. Davon siebzehn in Einzelhaft. Allein auf neun Quadratmeter Eisen, Beton, Stahl. Ohne Sonne, ohne Wolken, ohne Regen, nichts. Michel Vaujour, unbelehrbarer Bankräuber und unbelehrbar freiheitshungrig. Fünf Mal bricht er aus, einmal mit Hilfe einer Geliebten, die ihn per Hubschrauber vom Dach eines Hochsicherheitstrakts holt. Nach dem fünften Mal streckt ihn ein Kopfschuss der Polizei nieder – in einer Bank, wo sonst – und Vaujour bleibt als Krüppel liegen. Im September 2003 wird er als knapp 52-Jähriger »bedingt« entlassen. Mit einem Körper, der wieder leidlich funktioniert. Der Ex-Einsame liebt eine Frau und hat ihr versprochen, das Gangsterleben aufzugeben. Jetzt läuft ein Dokumentarstreifen über ihn in den Kinos, der mitreißende Titel: »Ne me libérez pas, je m’en charge«, lasst mich nicht raus, ich kümmere mich selbst darum.
Um die Anspielungen in dem Film zu verstehen, muss man seine Autobiografie gelesen haben, »Ma plus belle évasion«, mein schönster Ausbruch. Ein Kapitel heißt »Auf dem Yoga-Weg«, die zwanzig Seiten sind der Grund, warum ich den Ausbrecherkönig hier erwähne. Denn mit 26 beschließt Vaujour – allein wie ein Mensch in einem 24-Kubikmeter-Käfig nur sein kann –, sich mit Yoga zu befassen. Er hört auf zu rauchen, den restlichen Tabak wirft er in die Toilette. Kein Radio mehr, er zerbricht den Transistor. Keine Matratze mehr, er stellt sie ins Eck. Keine Nahrung mehr, nein, das geht nicht, aber zwei Tage Fasten pro Woche, das geht. Er lernt den Atem kontrollieren, meditiert, schindet sich mit den Asanas , den Yoga-Haltungen, sucht nach der berühmten »yama«, der Harmonie zwischen sich und der Welt. Das ist umso witziger, als der Leser zuerst glaubt, dass der Kriminelle das alles auf sich nimmt, um »anständig« zu werden. Von wegen. Er will sich auf sein nächstes
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