Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
aber eine ungeheuer lange Zeit.
Wie, Meister aller Meister, hätte ich mit dieser rasend machenden Trivialität umgehen sollen? Nachdem weder die Polizei noch der Hausbesitzer einschritten (ich war Ausländer, der Simpel ein Inländer). Ausziehen? Aus einem kleinen Traum mitten in einer Weltstadt? Den Rohling lieben? Sicher nicht. Ihm seine drei Zimmer mit Ameisensäure versauen? (Bin unbefugt in seine Wohnung eingedrungen, habe das Szenario durchgespielt. Und aufgegeben, denn der Verdacht wäre unweigerlich auf mich gefallen.) Also lieber nicht. Vipassana üben? Zu welchem Behuf? Um mir meinen Grimm wegzulügen? Um den Nachsichtigen vorzuführen? Es gibt Zeiten, auch das habe ich gelernt, die muss man erleiden. Und sich eingestehen, dass man gerade verliert.
In französischen Kinos lief vor Jahren eine Werbung der Marke Lindt . Man sah einen Mann eine Tafel Schokolade genießen, aus dem Off kam der Satz: »Quelques grammes de finesse dans un monde de brutes«, ein paar Gramm Raffinement in einer Welt voller Rüpel. Ich würde gern wissen, wie hoch der Anteil der Zuschauer war, die der Behauptung widersprachen.
Zurück zur Dhamma Hall . Heute, mit Rückblick auf den Schleudergnom, hilft Vipassana. Mein Atem bleibt konstant, ich hyperventiliere nicht, sogar meine Mordlust ist verflogen. Zudem besänftigt mich der Gedanke an die Nachmieter, jene zwei Frauen, klug, umgänglich, humorvoll. Schon gravierend die Erfahrung, dass von einem auf den nächsten Tag eine Drangsal zu Ende sein kann: weil ein anderer »Geist« umgeht, weil die Weltherrschaft des Prolos in diesem Haus ab jetzt nicht mehr gilt.
Ich erreiche mit Anstand den Abend. Sitzen und atmen, atmen und sitzen. Die meisten Fehltritte – das Abschwirren in Tagträume – kann ich abblocken. Nur einen lasse ich durchgehen. Er ist lustig, er entspannt: Meine erste Begegnung mit dem Bud dhismus war ein Buch, Der historische Buddha , von Hans Wolfgang Schumann. Das Treffen stand unter einem ungünstigen Stern, denn ich hatte das hübsche Hardcover gestohlen. Um Haaresbreite wäre der Diebstahl vor versammeltem Buchladen-Personal aufgeflogen. Nur dank einer blitzschnell eingenommenen Körperhaltung – gebückt und die Hände gegen den Bauch gepresst – kam ich davon. Ich inszenierte eine Art epileptischen Anfall, der einzige Ausweg, um das schwere Teil daran zu hindern, aus einer maroden Jackentasche zu rutschen. »Schlechtes Karma!«, würden die Eingeweihten triumphieren. Um meine hier in Indien an allen Ecken und Enden des Körpers auftretenden Plagen zu erklären. Eben die kosmische Rache für einen Bücherdieb! Glaube ich nicht. Denn hier sitzen noch andere, die auch wimmern. Und bestimmt hat keiner von ihnen, so darf man vermuten, eine Buddha-Biografie geklaut.
Plötzlich ein Zwischenfall. Ein lauter Schluchzer durchbricht die Stille. Dann das eindeutige Geräusch eines Menschen, der weint. Nicht verhalten, sondern gebeutelt von Schmerz. Ich öffne umgehend die Augen und erkenne am Rücken, der sich heftig bewegt, um wen es sich handelt. Eine Inderin, eine ältere Frau, die mir schon durch ihre Haltung und Disziplin aufgefallen ist. Fast überrascht mich das Geräusch, so weit weg und unvorstellbar scheint es hier. Nichts geschieht, keiner sagt was, niemand rührt sich. Der Mensch ist ja nicht in Gefahr und eine Dhamma Hall ist kein Kinderhort.
Wie gern würde ich mich jetzt neben sie setzen, ihre Hände nehmen, sie trösten. Und den Grund der Trauer wissen wollen. Ich könnte nicht sagen, was überwiegt, mein Mitgefühl oder die Neugier. Beides meldet sich. Aber das wäre der falsche Moment. Vipassana ist kein Kurort, kein Versöhnungs-Festival. Jeder von uns ist (auch) hier, um mehr von sich zu erfahren. Und das Erfahrene zu akzeptieren, zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Je tiefer sich jemand in sich hineintraut, desto eher die Gefahr, dass er an Schichten rührt, die weh tun. Stille, die keine äußere Ablenkung duldet, wirkt wie ein Katalysator auf der Reise ins eigene Chaos. Ich höre die Frau weinen und auf seltsame Weise beruhigt es mich.
Plötzlich fällt mir ein Mann ein, der ebenfalls während einer Meditation weinte. Aber da wusste ich, warum. Es geschah in einem thailändischen »Aids-Kloster«, in dem ich mit anderen Ausländern als Freiwilliger arbeitete. Patienten massieren, Windel abnehmen, den Leib waschen, Windel anlegen, hinterher am Bett sitzen und dasein. Abends besuchte ich Suthani in seinem Ein-Zimmer-Bungalow, er war einer der
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