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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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als Erkennungszeichen des modernen Menschen. Vor einigen Jahren habe ich mir angewöhnt, von einer Caféterrasse aus jeden zu beobachten, der vorbeikommt. Eine Viertelstunde lang »voir comme la vie passe«. Kein anderes Kriterium zählt als die Ausstrahlung des Passanten, sein Gang, die Augen, sein Blick. Ob Mann, Frau, jung, alt, dünn, weniger dünn, pomadisiert oder lockig geföhnt, nichts soll eine Rolle spielen, nur seine/ihre »Anwesenheit« in der Welt.
    Ach, wie sie schlurfen, die Menschlein, wie vergraben in sich und abwesend sie sind, wie sie den Buckel krümmen und kaum einer auftaucht, dem man die Freude ansieht, am Leben zu sein. Vor Jahren stand eine Meldung in der Zeitung über einen offensichtlich geistig gestörten Amerikaner, der wegen mehrfachen Totschlags vor Gericht stand. Der Richter: »Warum haben Sie all diese Leute getötet?« Und der Angeklagte: »Aus Mitleid, ich konnte ihr Schicksal nicht mehr ertragen. Sobald ich jemanden mit einem traurigen Gesicht sah, schoss ich ihn nieder.« Ich habe damals laut gelacht, als ich das las. Die Antwort hatte Witz, ja bewies Mitgefühl. Ok, ich würde die Trostlosen nicht abknallen, ich würde ihnen eine Website-Adresse aufschreiben. Um sich für ein Vipassana-Wochenende anzumelden. Diese Meditation ist kein Zaubermittel, aber ein Heilmittel gegen das Verwelken mitten im Leben. Das schon.
    Zurück zum Rundgang, wieder gehen wir aneinander vorbei und haben noch immer kein einziges Wort miteinander gewechselt. Ich besitze gerade ein Elefantenherz und sehe niemanden, der stört. Die Langen, die Kurzen, die ganz Normalen, die Bärtigen, die Glatzigen, jeder ist an diesem Vormittag unschuldig und nah. Wie die Gärtner, die heute mit grandioser Gelassenheit Unkraut jäten. Ohne Plan, einmal hier, einmal da, dann da aufhören und woanders weiterzupfen. Der kontemplative Blick auf einen (arbeitenden) Inder reicht, um ein paar Geheimnisse dieses Landes zu begreifen, das gültigste: Alles nicht so wichtig, alles wird aufhören und sterben. Das Unkraut, der Nachbarhund, du, wir, die Welt. Warum also schwitzen und die Mühsal im Universum verdoppeln? Wie einleuchtend es klingt, dass der Buddhismus in Indien seinen Anfang nahm. Kein Volk hätte besser zu ihm gepasst. Haben sich die Deutschen darauf geeinigt, dass das »Betreten des Rasens verboten« ist, so steht in Indien virtuell und überall: »Let it be«, lass los, ist doch alles Schall und Rauch. Deshalb legen sich die Gärtner jetzt auf die Wiese und blinzeln in die Sonne. Man glaubt nicht, welchen Frieden manche Bilder im Betrachter auslösen können.
    Den langen Nachmittag über bin ich fleißig. Die Intervalle der Konzentration werden länger. Schon eigenartig, was hier passiert. Wildfremde Männer und Frauen kommen in einem abgedunkelten Raum zusammen, setzen sich und – schweigen. Kann man friedlicher miteinander umgehen? Das noch Eigenartigere: Die lautlose Präsenz der anderen hilft. Ich habe ja versucht, allein in der Zelle zu meditieren. Und wie reumütig bin ich zurück. Jene seltsame Energie fehlte, die man nicht hört, nicht sieht, nicht anfassen kann.
    Irgendwann ist wieder »Sprechstunde«, das heißt, jeder wird zum Guruji gebeten, jeder fragt und keiner bekommt eine Antwort. Warum das so ist, wurde bereits erklärt. Ich jammere über meine lädierten Knie und der Alte fertigt mich ab: »Schau zu, wie der Schmerz kommt und wieder geht, nichts hat Bestand. « Ähnlich tiefschürfend referiert ja auch Goenka: »All is impermanent, even the pain«. Ich hätte jetzt eine unbändige Lust, mit allen Erleuchteten aller Zeiten über diesen Kalenderspruch zu diskutieren. Weil mir letzte Wahrheiten nicht helfen, wenn sie in der Wirklichkeit nicht ankommen. Hier ein ordinär platter Fall, von dem vielleicht dreihundert Millionen meiner Zeitgenossen ebenfalls betroffen sind: Über meinem Appartement wohnte ein Mensch, der nachts bis zu fünf Mal die Waschmaschine laufen ließ. Stundenweise. Genau über meinem Futon. Ging die Schleuder, wurde ich gleich mitgeschleudert. Da half kein Bitten, kein Betteln, kein Drohen, kein Brüllen um Gnade. Fazit: Der Typ gehörte zu jener Menschenrasse, die als Arschloch auf die Welt kommt. Wie richtig, verehrte Erleuchtete, auch dieser Schmerz – der Schmerz der Schlaflosigkeit – verging. Denn nach vierzehn Jahren verschwand der Sadist. Im Vergleich zu den acht Milliarden Jahren, in denen das Universum besteht, sind vierzehn ein lautloser Furz, im ganz konkreten Leben

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