Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
sieht uns kein Zeichen des Kennens austauschen und hört uns kein Wort sprechen. Wir tun, als wären wir allein. Das muss ihn an eine Klinik für Autisten erinnern, die (scheinbar) ungerührt von Welt und Umwelt ihr Dasein fristen. Nie käme der fremde Beobachter auf die Idee, dass wir beide bewusst unsere Neugier, die Neugier auf »draußen«, unterdrücken. Wie alle anderen hier auch. Weil wir überzeugt sind, dass diese Art von Abstinenz unsere Fähigkeit zur Innenschau, zur Selbsterkenntnis, steigert. Selbstverständlich nicht, weil des Menschen einziges Ziel die Nabelschau ist, sondern weil nur derjenige, der eine Ahnung von sich hat, eine Ahnung von anderen bekommt. Erst wenn ich weiß, was Verlassensein und Sinnlosigkeit in mir anrichten, erst dann sehe ich, dass andere mir verdammt ähnlich sind. Und wir einander beistehen sollten. Erst wenn ich die eigene Bosheit und Gier in mir erkenne, erst dann höre ich auf, mich als moralisch korrekter Gutmensch anzubiedern.
Zurück in die Dhamma Hall . Wie friedlich die Folterkammer aussieht. Keine einzige Beißzange liegt herum, kein Metzgerhaken, nicht mal ein Trichter, um die Gefolterten mit Essig volllaufen zu lassen. Ich übertreibe erheblich, und dennoch: Geradezu rührig der Versuch jedes Einzelnen, Zeit zu schinden, pedantisch das Kissen zurechtzuzupfen, den Bezug straffzuziehen, nochmals zu schütteln, Probe zu sitzen, wieder zu schütteln. Der ganze Zauber, um den Augenblick hinauszuzögern, in dem man definitiv zu meditieren beginnt, sprich, die Folter aushalten muss.
Der Nachmittag gelingt. Ich habe immer noch nicht verstanden, warum der Körper plötzlich nachgibt und meditieren mag, ja keinen Schmerzenslaut von sich gibt und irgendwann nur dasitzt. Planlos, kampflos, gewissenlos. Weil er eingestimmt ist? Durch die Gedanken an Govind, an einen, der wohl jedem, dem er begegnete, mit »good vibes« versorgte? Oder ist es mein Einverständnis mit allen, die sich mit mir in diesem Raum befinden? Ich weiß es nicht, ich habe noch nie ein System entdeckt, nach dem mein vegetatives Nervensystem funktioniert. Es ist launisch wie eine Diva. Heute ist es gönnerisch und ich will die Gunst der Stunde nutzen. Ich sitze tatenlos da und denke tatsächlich, ohne Witz, dass ich etwas – ok, etwas Winziges – zum Weltfrieden beitrage. So winzig wie die Spende der anderen 23 hier. Ein paar Stunden später sind zwei Dutzend Männer und Frauen eine Spur verträglicher, versöhnter. Mit sich, mit dem Rest. Ist das nichts?
Irgendwann kommen die Hintergedanken wieder. Die meisten lassen sich vertreiben, so banal sind sie. Andere gefallen mir, denen gehe ich hinterher. Ich habe Meditation immer auch als Kontemplation verstanden, als Ort, um Erfahrungen zu »dechiffrieren«. Ich brauche Zeit, um zu verstehen, was ich weiß. Mir fällt eine provozierende Behauptung Goenkas ein, der vom grundsätzlich »Guten« im Universum sprach, eben von Ursache und Wirkung, von guter Tat und guter Wirkung, von schlechter Tat und schlechter Wirkung. Als sei der Weltraum »moralisch«. Deshalb würden die Gierigen als Unglückliche wiedergeboren. Und die Großherzigen als noch bessere Wohltäter.
Ach, Goenka, wie gern würde ich mich an deine Schulter lehnen und all den sweet nonsense glauben. Die Natur soll »gut« sein? Wie kann man so blindwütig der Wirklichkeit ausweichen? Verblendet der Drang nach einer wohligen Sicht so radikal? Die Natur ist auch nicht »böse«, sie ist vollkommen »amoralisch«, vollkommen gleichgültig. Sie ist nicht »gut« oder »schlecht«, weil sie gute oder schlechte Absichten hegt, sondern weil es sich laut Evolution gerade so ergibt. Der Tsunami ist gräulich für jene, die in den Fluten begraben wurden. Für die Natur hat er absolut nichts Böses. Die Riesenwelle kam, weil die geologischen Verhältnisse so waren, dass sie losstürmen musste. Und nicht, weil die Natur irgendjemanden abstrafen wollte.
Und der Löwe, der das Zebra reißt, ist er das Untier? Und hat das Zebra vorher unreinlich fantasiert, heimlich auf Zebra-Weibchen gestarrt? Und die Gottesanbeterin (sinniger Name), die noch vor dem Ende der Begattung dem Liebhaber den Kopf abbeißt, ist sie das ultimative Luder? Nein, ist sie nicht. Erst der brachiale Akt sorgt dafür, dass der Kopflose seinen Samen in den weiblichen Körper pumpt.
Kommen wir zu den Menschlein. Auch hier haben sich die »bien pensants«, jene, die immer nur Gutes von der Welt denken, was Schönes, was Supergerechtes
Weitere Kostenlose Bücher