Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Fluchtunternehmen vorbereiten, das höllisch kompliziert ist und eine rücksichtslos strenge Vorbereitung verlangt.
Und der Coup gelingt, nach fast drei Jahren Kasteiung wird Yogi Vaujour mit seiner aus Seife und schwarzer Schuhcreme gebastelten Pistole, mitten im Justizpalast und umgeben von Schwerbewaffneten, eine Beamtin als Geisel entführen und – entschwinden. Yoga macht frei, um ein überzeugenderes Plädoyer kann man nicht bitten.
Die Kräfte, so schreibt Vaujour, die ihm via Yoga und Meditation zugewachsen sind, haben ihn nicht verlassen. Auch später nicht, nach seinen Eskapaden, als er wieder als Einzelhäftling die »absolute Einsamkeit« und das »absolute Schweigen« aushalten musste. Auch jetzt nicht, als freier Mensch. Diese Kräfte, so der heute 55-Jährige, reichen für ein ganzes Leben, ganz gleich, wie es sich manifestiert.
Vaujours Existenz soll jedem Mut machen. Konzentration, bewusstes Einatmen, bewusstes Ausatmen, der Fokus auf die essenziellen Dinge sind eben keine Täuschungsmanöver, keine Ablenkungsmanöver, um sich vor der Welt zu verbarrikadieren. Das Gelernte führt in die genau entgegengesetzte Richtung, verführt zu mehr Nähe. Jede spirituelle Suche, die dem Suchenden keinen ganz konkreten Zugewinn an Lebenstapferkeit verschafft, ist nichts als eine andere Art, seine siebzig oder achtzig Jahre totzuschlagen. Und das ist ein krimineller Akt.
Ich komme gut über den Vormittag. Ich würde gern wissen, ob es Freiberufler schwerer haben mit dem Loslassen von Gedanken. Denn sie leben davon, dass sie kreativ sind, dass Ideen kommen, Einfälle, Geistesblitze, Bilder. Garantiert meditieren Beamte besser. Einen Pensionsberechtigten bedrängen weniger Nöte. Mich bedrängt gerade Hirnsex. (Das habe ich sicher mit vier Fünfteln der männlichen Weltbevölkerung gemein, auch der verbeamteten.) Frauenwärme, der Geruch von Brüsten, ihre Bereitschaft zur Hingabe, Flashes von Nacktsein und Geilheit überrennen meinen Hypothalamus. Wie der Gedanke an die Macht, die Frauen über uns Männer haben. Jetzt wäre ich gern Goenka, der zückte in solchen Momenten sein Lichtschwert »equanimity« und die Bedrängnis hätte ein Ende. Er würde die schönste Inderin vor sich sehen, hingestreckt und bronzefarben wie ein indischer Traum, er würde sie seinen Namen seufzen hören und er würde eiskalt »cut« rufen. Und das herzschlagjagende Trugbild wäre zu Ende. Lässig verscheucht, in seine Schranken verwiesen. Bestechend.
Ich hätte gern gewusst, wie Männer sich zwischen zwei Optionen entscheiden würden: a) sie könnten jede Frau haben oder b) sie könnten – wie Buddha, wie Goenka und alle anderen Wunderknaben – ungerührt an jeder Versuchung vorbeigehen.
Das menschliche Hirn generiert die seltsamsten Assoziationsketten. Plötzlich muss ich an Govind denken, einen Mann, den ich vor Jahren in Varanasi getroffen habe. Trotz dicken Barts war er noch immer als Weißer erkennbar, vielleicht knapp fünfzig. Früher hieß er Tom oder Jeffrey. Wie belanglos, er wollte es nicht mehr wissen. Als er nach Indien kam, meinte er, »there was not much singing in my heart«. Inzwischen war er ein Sadhu geworden, trug nur noch orangefarbene Kleidung und hatte alles hergegeben, sogar seinen kanadischen Akzent, sprach nur noch lupenreines Indienenglisch.
Er war das absolute Gegenteil von Vaujour, Govind wollte der Welt entsagen, sehnte sich nach keiner Frau, nach keinen Säcken voller Geld, nach nichts, auch nicht nach Leben. Auch nicht nach einem anderen Leben danach. Er hatte genug, er wollte Nibbana , eben den großen, unwiderruflichen Frieden. »I want to get out of life«, sagte er und deutete auf eine Stelle neben dem Ganges. Er spürte keinen Hass auf sein Dasein, keinen Ekel, nur diesen steten Drang, bald sacht und unauffällig zu verschwinden.
Wann immer wir uns trafen, lud ich ihn zum Essen ein. Sein dünner Leib, nur ernährt von Dhal und Reis, brauchte Abwechslung. Ich schien geradezu süchtig nach diesem so anderen Menschen. Sein Ego war inzwischen auf eine Größe geschrumpft, die man mit bloßem Auge nicht mehr erkennen konnte. Er war wunschlos und unglücklich, denn sein einziges Bedürfnis – und Selbstmord kam nicht in Frage – blieb unerfüllt: zu sterben, to get out .
Aus vielen Gründen werde ich den Todessüchtigen nicht vergessen. Wohl auch nicht, weil er mir einen unheimlich abschüssigen Satz geschenkt hatte, einen von epochalem Glanz: »Der American Way of Life ist die destruktivste
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