Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
bewegen, gelang ihr das nicht, denn ihre Fingerglieder bewegten sich wie eingerostet. In diesem Zustand konnte sie unmöglich die Goldberg-Variationen spielen, ja nicht einmal einen Chopin.
Doch zu mehr Gedanken kam sie nicht, denn der Sekretär des Direktors riss ihr das Kopftuch herunter und packte sie an ihren langen schwarzen Haaren. Er zerrte sie durch die Halle nach draußen, vorbei an den Arbeiterinnen, die es nicht wagten, auch nur einen Blick auf Polina zu werfen, sondern emsig weiterarbeiteten, Stoffbahnen in die Lauge tauchten und die nassen, ätzenden Stoffteile in riesige Trockenmaschinen wuchteten, die mit einem ohrenbetäubenden Lärm anfingen zu rotieren.
Auf der Betonrampe im Freien dröhnten Polina noch die Ohren von dem Lärm und das Atmen fiel ihr schwer. Der Sekretär verpasste ihr eine Ohrfeige, die so stark war, dass sie das Gleichgewicht verlor und von der Rampe hinunter in den Schlamm fiel. Benommen versuchte sie sich aufzurichten, rutschte aber in dem Schlamm aus und fiel erneut in den Schmutz, während der Sommerregen auf sie niederprasselte. Aus den Augenwinkeln sah sie den Sekretär oben auf der Rampe stehen und mit dem Finger auf sie zeigen.
„Der Vorarbeiter hat gesagt, dass du nicht bei der Lauge arbeiten willst, weil du dir dabei die Hände verätzt. Das ist Arbeitsverweigerung.“
„Aber ich brauche meine Hände zum Klavierspielen!“, rief Polina und verwünschte sich sofort für diese Entgegnung, denn das Gesicht des Sekretärs verzerrte sich zu einem höhnischen Grinsen.
„Ach, du bist also etwas Besseres als die anderen fleißigen Arbeiterinnen, die unsere schöne Fabrik am Laufen halten? Du bist eine Künstlerin und hast Angst um deine Finger?“ Er dachte kurz nach und tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Lippen.
„Nun gut, ich habe ein Herz für Künstler. Ab morgen bist du in Halle B im fünften Stock“, sagte er dann grinsend, wurde aber schnell wieder ernst. „Und jetzt verschwinde zu deiner Lauge, sonst musst du die Fabrik verlassen. Und du weißt ja, dass du eine Menge Schulden angehäuft hast, seit du hier arbeitest.“ Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand wieder im Verwaltungsgebäude.
Ja, so ist das, dachte Polina und versuchte vergeblich, sich mit einer Hand den Dreck von ihrem Overall zu wischen und mit der anderen Schmutz und Nässe aus ihrem Haar zu wringen. Natürlich wusste sie, dass die Fabrik für alles Geld verlangte, das vom Lohn abgezogen wurde. Natürlich wusste sie auch, dass in der Kantine dieselben Preise zu bezahlen waren wie in einem Luxusrestaurant in London oder Paris. Natürlich wusste sie, dass man sich trotz der Arbeit in der Fabrik hoffnungslos verschuldete, aber das wenige Geld, dass sie bekam, reichte aus, um ihre betagten Großeltern, die in der Nähe von Tiraspol auf dem Land lebten, zu ernähren und für das Konservatorium in Chisinau zu sparen.
Hustend schleppte sie sich die Treppe nach oben in den dritten Stock und als sie die schwere Stahltür der Halle aufschob, war der ätzende Gestank so überwältigend, dass sie sofort rasende Kopfschmerzen bekam und ein Hustenanfall zwang sie in die Knie.
„Da bist du ja wieder“, flüsterte Ronja, ein dünnes zwanzigjähriges Mädchen, mit dem sie sich ein wenig angefreundet hatte. „Ich habe dir den Platz hinten bei den Ballen freigehalten. Da kommst du mit der Lauge so gut wie überhaupt nicht in Berührung.“
Erst jetzt fiel Ronja auf, dass Polinas Overall komplett verdreckt war. „Mein Gott, was haben sie mit dir gemacht?“
„Eigentlich gar nichts! Ich bin nur verwarnt worden und muss morgen in einer anderen Halle arbeiten.“ Sie lächelte Ronja halbherzig an. „Im Grunde ganz positiv. Ich brauche mir um meine Hände
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