Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
Nachdenken. Natürlich sehe ich immer wieder auf die verchromte Designeruhr auf seinem Schreibtisch, die mit gleichmäßigem Klacken ein Sekundenblättchen nach dem anderen weiterblättert. Natürlich weiß ich, dass ich wenig Zeit habe, da die Security bald ihren Rundgang macht und ich verschwinden muss. Natürlich streife ich erst draußen die Papierüberschuhe ab und schäle mich aus dem blutverschmierten Overall. Natürlich verspüre ich draußen in der kühlen Nachtluft ein Glücksgefühl, als ich es realisiere: Töten ist ganz einfach!
Jetzt bin ich motiviert und arbeite zielorientiert an meinem Plan. Jetzt sind die Stimmen in meinem Kopf verstummt und ich kehre zurück in das andere Leben. Jetzt bin ich in der Lage, die Aufzeichnungen als Todesschrift, als Thanatografie zu verfassen.
Jetzt kenne ich mein Motiv: Rache.
1. Linz: Die erste Nacht
Tatjana Drakovic hatte bereits eine halbe Flasche Wodka getrunken, doch noch immer fand sie keinen Schlaf. Mit Ende dreißig hatte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Bogdan den Vorsitz von Royal International inne. Das Unternehmen produzierte ursprünglich Haushaltsartikel, engagierte sich nun aber verstärkt in Immobiliengeschäften. Tatjana Drakovic war intelligent, selbstbewusst und unabhängig – Eigenschaften, die sie tagsüber glaubhaft vermitteln konnte. Doch dann gab es noch diese bleierne Zeit zwischen Mitternacht und Morgen.
Von der Terrasse des Penthouse in einem Nobelstadtteil von Linz hatte sie einen großartigen Blick über die Stadt. Weit hinten am Horizont, direkt am Fluss, glitzerten die bunten Fassaden des Museums und des Ars Electronica Centers. Die großen Glastüren zur Terrasse waren aufgeschoben und die Geräusche vereinzelter Autos auf der Stadtautobahn nur zu erahnen.
Der weitläufige Wohnraum des Apartments war hell erleuchtet. Auf der matt angestrahlten Kochinsel aus gebürstetem Stahl lag ein Umschlag, ein dünnes braunes Kuvert. Tatjana Drakovic umkreiste es bereits seit Stunden argwöhnisch. Sie hatte diesen Umschlag abends in ihrem Postkasten vorgefunden, so wie zahllose andere in den vergangenen Monaten. Beim Öffnen des Briefkastens hatte sie die Augen fest zusammengedrückt, so als könnte sie damit etwas ungeschehen machen, aber als sie die Augen öffnete, holte sie die Wirklichkeit in Gestalt eines dünnen braunen Umschlags ohne Absender wieder ein.
Jetzt lag der Umschlag auf der mattierten Oberfläche der Kochinsel und darunter – in einer Schublade – jene zahllosen anderen braunen Kuverts, aufgerissen und verknickt, manche zerknüllt, wieder geglättet und in die Umschläge zurückgestopft.
Langsam erhob sie sich aus der überdimensionalen Designer-Sitzlandschaft und schwankte auf die Kochinsel am anderen Ende des Raumes zu. Die Proportionen des Zimmers verschoben sich in ihrer Wahrnehmung und beinahe wäre sie an den Esstisch gestoßen. Sie riss sich zusammen, schüttelte ihre langen schwarzen Haare und lächelte mit ihrer charakteristischen Lücke zwischen den Schneidezähnen ins Leere. Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, zog sie ihren weißen Bademantel eng zusammen und streckte das Kinn trotzig nach vorn.
Energisch packte sie den Umschlag und riss ihn wütend auf. Wie jedes Mal flatterte ein Laserausdruck auf handelsüblichem Kopierpapier auf die Arbeitsplatte. Wie jedes Mal war es ein Foto, wie jedes Mal dazu ein unverständlicher Text.
„Es ist der Obolus zu entrichten, nur dann ist der Fährmann bereit, den Fluss zu queren und an das andere Ufer überzusetzen.“
Doch etwas war dieses Mal anders. Dieses Mal erkannte sie die Person auf dem Foto.
*
Als Stefan Szabo erwachte, lebte er zu
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