Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
keine Sorgen mehr zu machen.“
„Klingt gut, klingt gut!“ Ronja nickte geschäftig, ließ ihre kleinen Rattenaugen hektisch hin und her schweifen, damit sie nicht von einem der Vorarbeiter beim Reden entdeckt wurde. „Da hast du ja mächtig Glück gehabt, wirklich mächtig Glück!“ Nervös kaute Ronja an ihrer Unterlippe. „Wo kommst du hin? Etwa in die Verwaltung? Dorthin, wo es ruhig ist und man 12 Stunden nur Akten sortieren muss?“
„Nein, ich komme in Halle B in den fünften Stock. Keine Ahnung, was dort gemacht wird.“ Polina zuckte mit den Schultern und knetete ihre Finger, bis die Gelenke knackten.
„Halle B, fünfter Stock! Oh mein Gott, oh mein Gott!“, stöhnte Ronja und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Ihre kranken gelblichen Augen waren starr auf Polinas Hände gerichtet. „Du weißt nicht, was dort im fünften Stock gemacht wird?“
„Nein, woher auch, ich war noch nie dort“, antwortete Polina und begann nervös an ihren Fingernägeln zu kauen.
„Ich war im fünften Stock“, flüsterte Ronja und sah sich ängstlich um. Ihre Stimme war so leise, dass sie von dem dröhnenden Lärm der Maschinen niedergewalzt wurde, doch Polina verstand auch so sofort, was Ronja gemeint hatte, als diese ihre linke Hand hob und Polina vor die Augen hielt. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen, aber Ronja fehlten an der linken Hand zwei Finger.
„Im fünften Stock sind die Zuschneidemaschinen“, flüsterte Ronja und rückte mit ihrem schmalen Mausgesicht noch näher. „Dort haben schon öfters unachtsame Mädchen einige ihrer Finger verloren!“
„Wieso Finger?“ Polina starrte auf ihre langen Finger, die sie spreizte, so als befürchtete sie, dass sie jederzeit abfallen oder verschwinden könnten. „Wie kann so etwas passieren?“
„Es sind die Zuschneidemesser. Die Maschinen sind viel zu schnell eingestellt, damit die Produktionsvorgaben eingehalten werden können. Das geht zack, zack, zack. Man kommt gar nicht mit dem Nachschieben zurande und muss gleichzeitig das Schnittmuster nachziehen. Da kann es schon passieren – zack!“
Mit ihrer versehrten Hand streichelte sie die Wange von Polina.
„Ich war vielleicht eine Woche dort, dann hat es mich erwischt. Ich war nur einen kurzen Moment abgelenkt, habe an etwas anderes gedacht, nicht die Messer im Auge behalten – zack! Aber es ging so schnell, dass es überhaupt nicht wehgetan hat. Erst als ich das viele Blut gesehen habe, ist mir übel geworden. Ich wurde in der Krankenstation verarztet und Mamutschka bekam Schmerzensgeld. Ich blieb genau zwei Tage auf der Krankenstation, dann landete ich hier bei der Lauge, die mir langsam die Lunge verätzt und von der ich sicher Krebs bekomme. Aber jetzt habe ich angefangen, mitzudenken und merke mir, wie das ganze System hier funktioniert.“
Polina begann am ganzen Körper zu zittern und je länger sie auf ihre langen, schmalen Finger starrte, desto heftiger wurde das Zittern, schließlich schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und versuchte nur Klaviermusik zu hören und zu spüren, wollte nur noch eintauchen in die Musik. Unsanft wurde sie von Ronja geschüttelt und wieder zurück in den Höllenlärm geholt.
„Achtung, da hinten kommt ein Vorabeiter! Wir müssen zurück zu den Stoffballen.“ Während sie geduckt zwischen den riesigen Trockenautomaten in das Stofflager huschten, drehte sich Ronja noch einmal zu Polina um und sagte genau in dem Moment, als der Maschinenlärm wegen einer durchgebrannten Sicherung verebbte:
„Betrachte ein letztes Mal deine schönen Hände, denn ab morgen musst du um jeden deiner Finger kämpfen.“
16. Das andere Mädchen
Gogol war der Freund von Chloe und vielleicht einen Meter fünfzig groß, hatte einen Wasserkopf,
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