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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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gespannter Aufmerksamkeit. Aber von unten drangen nur die gewohnten Geräusche der Wärmeversorgung nach oben. Das gleichmäßige Surren des Brenners, die Schwingung der Luftsäule im Schornstein, das Gurgeln der Heizkörper. Bald entspannten sich die Kindergesichter wieder, und die Mutter fuhr fort, ihnen das Märchen vorzulesen, in dem die Hexe von Gretel in den Backofen geschubst wird.
    Die nächsten Tage rauchte es kräftig aus Mangolds zwei Schornsteinen, vor allem nachts, denn es war kalt geworden. Herr Mangold schob alte Bretter durch die Kreissäge und freute sich, wie schnell eine Arbeit getan ist, wenn man die richtigen Geräte dafür hat.
    Bald darauf war Allerheiligen. Die Mangolds standen zwischen flackernden Grablichtern und gedachten der Toten. Die Kinder quengelten, und ihre roten Näschen tropften mit dem Regen um die Wette. Nach dem ersten Rosenkranz packte Herr Mangold die Kleinen und flüsterte seiner Frau zu: »Komm, lass uns nach Hause fahren, hier holt man sich ja den Tod.«
    Daheim in der warmen Stube taute man wieder auf. Keiner wurde krank, die natürliche Lebensweise sorgte für eine robuste Gesundheit. Draußen goss es weiter, tagelang hielt der Himmel seine Schleusen offen und füllte die unterirdische Zisterne des Häuschens. Als der Regen endlich nachließ, gewahrte Herr Mangold einen metallicblauen Audi, der in seiner Einfahrt parkte. Ein Fremder mit Hut und Aktentasche stieg aus und ließ seinen Blick abschätzend über das Anwesen schweifen. Dann stapfte er über den Kies auf die Haustür zu. Frau Mangold öffnete ihm einladend und nahm ihm in der Diele den Mantel ab. »Sonst erkälten Sie sich nachher, wenn Sie uns wieder verlassen«, sagte sie mütterlich und bot ihm einen Stuhl an. Der Fremde stellte sich vor. Er sei von der Baupolizei, er habe etwas zu überprüfen. Ob vor zwei Wochen nicht schon sein Kollege hier gewesen sei? Er habe an jenem Tag zwei Außentermine wahrnehmen wollen und sei seitdem abgängig.
    »Hier bei uns?« Die Mangolds wussten es nicht. Sie wussten nur, dass sie an besagtem Nachmittag nicht zu Hause, sondern zu Einkäufen in der Stadt gewesen waren. Aber es sei schön, fügte Herr Mangold dankbar hinzu, dass endlich jemand vom Bauamt komme, dem man die beengten Raumverhältnisse vorführen könne. Man warte schon lange auf die Baugenehmigung. Er holte den Schlehenschnaps aus dem Schrank.
    »Hier eine Baugenehmigung, in dieser ökologisch wertvollen Lage mit ihren Nistplätzen und Krötenwanderungen? Nie im Leben!«, empörte sich der Beamte und stemmte seinen gesegneten Bauch vom Sitz hoch, um ans Fenster zu treten. »Hier dürfen Sie froh sein, wenn man Ihnen die Hütte nicht abreißt. Sie haben ja nicht einmal Anschluss an das öffentliche Kanalnetz. Ein Anachronismus ist das, eine Umweltbelastung sondergleichen. Was glauben Sie, was daraus für ein Politikum wird, wenn die Grünen Wind davon bekommen?«
    Herr Mangold, selbst grün orientiert, hörte sich den Vortrag des Beamten über Laichplätze aussterbender Lurche und die Gefahren für das ungestörte Brüten der Saatkrähe aufmerksam an. Dabei dachte er an die Körnerkolben, die er für die Wintervögel in die Bäume hing, und an den großen Komposthaufen, den er den Igeln und anderen Winterschläfern zuliebe unangetastet ließ. Er dachte an den grünen Daumen seiner Frau bei der Erwähnung der Pflanzenvielfalt, die es zu erhalten gälte, und an die Regenwasserzisterne, als der Beamte über Grundwasserprobleme referierte. Teilnahmsvoll nickte er zu dessen Ausführungen und versuchte, zu jedem einzelnen Punkt seine eigene naturgerechte Praxislösung vorzubringen.
    Das weckte bei seinem Gegenüber allerdings kein wohlwollendes Interesse. Denn das Interesse des Beamten galt dem Umstand, wohin man käme, wenn jeder seine eigene Ethik in die Praxis umsetzen würde. Herr Mangold wusste, wohin man gekommen war, seit der Staat mit seinen Vorschriften und seinen zentralisierten Einrichtungen die Ethik vergesellschaftet und den Bürger entmündigt hatte. Nämlich dahin, dass die Leute ihre Lösungsmittel bedenkenlos in die Toilette entsorgen, weil außerhalb ihrer vier Wände ein anderer zuständig ist.
    Erst am Ende ihrer langen Diskussion erzielten die beiden Männer eine gewisse Übereinstimmung in der Feststellung, dass der Mensch für die Gesellschaft das Hauptproblem darstelle. Für den Beamten war das der potenzielle Häuslebauer, der Individualist mit seinem obrigkeitsmissachtenden

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