Trinken hilft
Schicht vor. In diesem Tempo eine Mahlzeit típico español , das mache uns kein Spanier nach, lästerte mein bajuwarischer Reisekommentator, der sich den Flamenco gern länger reingezogen hätte.
Bei der anschließenden Führung durch das Weltkulturerbe hängte ich ihn für eine Weile ab, obwohl er die Trekkingschuhe anhatte, aber im Bus klebte er wieder an mir. Die Pfälzerin und ihr Partner hockten sich in die noch freie Reihe vor uns, und ich fühlte mich fast en famille ; so wusste ich zumindest, dass ich mich im richtigen Bus befand und abends nicht versehentlich in Madrid landen würde, fern der Heimat, also weit weg von meiner MS Fortuna. Tief war ich gesunken, wenn ich, ein ausgewiesener Eigenbrötler, diesen Animationsdampfer als Heimat empfand. Der Mensch ist verflucht wandelbar, vor allem nach unten hin. Ob das im Sinne der Evolution ist? Egal. Ich brauchte nach diesem Kulturmarathon erst einmal etwas Flüssiges und atmete nach dem ersten Schluck Heineken auf. Man mag mich für einen Banausen halten, aber in diesem Augenblick empfand ich das handliche Dosenbier als die größte Kulturleistung der Menschheit.
Auch die Pfälzerin lebte nicht nur von Luft und Liebe. Sie knabberte Chips aus der Tüte und bot auch uns davon an. Der Flamenco war vorbei, sie war wieder gesellschaftsfähig. »Wissen Sie, ich bin sonst nicht heikel, und die spanische Küche schätze ich sehr«, glaubte sie sich für ihr geschmäcklerisches Verhalten bei Tisch nachträglich rechtfertigen zu müssen. »Aber bei Pilzen kenne ich kein Grüß Gott. Da kriege ich Zustände.«
»Eine Sünde! Wo’s so herzhafte Schwammerlgerichte gibt«, bedauerte der Bayer. »Gerade bei uns daheim. Schwammerl mit Specksoße und dazu Semmelknödel, da brauch ich nicht mal was Schweinernes dazu.«
»Ich weiß«, pflichtete ihm die Pfälzerin bei. »Früher hab ich mich auch darum gerissen. Aber dann … na ja, Schwamm drüber.« Sie seufzte aus tiefster Brust.
»Haben S’ mal eine Pilzvergiftung gehabt oder was?«, bohrte mein Nachbar nach. Vielleicht witterte er eine morbide Geschichte, dafür hatte er einen Sinn.
»Nein, keine Pilzvergiftung. Schlimmer noch«, gestand sie. »Merulius lacrymans. Schon mal gehört?«
»Hört sich irgendwie medizinisch an«, rätselte der Bayer.
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ihrem Partner zu. »Soll ich es erzählen, Schatz?«
Ihr Schatz zuckte mit den Schultern. »Von mir aus. Ich komme ja gut dabei weg.« Dazu schmunzelte er verschmitzt.
»Also gut.« Die Pfälzerin drehte sich auf ihrem Sitz halb in unsere Richtung, schenkte ihrem Schatz ein liebevolles Lächeln und fing zu erzählen an.
Es gibt Menschen, die wachsen an den Tragödien ihres Lebens, und es gibt Menschen, die gehen daran zugrunde. Ich hatte mich immer der ersten Fraktion zugehörig gefühlt, denn ich hatte die Schulzeit überlebt. Sensible Persönlichkeiten können daran zerbrechen, die Spirituosenbranche lebt von ihnen. Vielleicht kennen Sie den Getränkeratgeber für Sportversager – Flaschen für Flaschen ? Eine äußerst tröstliche Satire. Kann ich jedem empfehlen, der sich zur No-sports-Liga zählt.
Ich nickte der Pfälzerin begeistert zu. Aber hallo, und ob ich das Buch kannte! Zehn Punkte für die sympathische Lady. Solche Zeitgenossen lobe ich mir, selbst wenn sie im Hormonrausch meine Dreimeilenzone missachtet haben mögen. Sie fuhr in ihrer Erzählung fort:
Mein Sport-ist-Mord-Trauma geht auf den Völkerball zurück, dieses Kriegsspiel im Sportunterricht der Mittelstufe, Sie kennen es sicher. Ich war das Leichtgewicht der Klasse und auch noch kurzsichtig, ein Nichts zwischen lauter Östrogenbomben. Mein Ball traf kaum ins feindliche Feld, aber alle gegnerischen Bälle trafen mich. Ich will das Thema nicht auswalzen, heute weiß ich, so ist das Leben. Einer verliert immer. Aber damals … nun ja, Schwamm drüber. Jeder entwickelt seine eigene Art der Vergangenheitsbewältigung.
Ich habe in erster Ehe einen Handballer geheiratet und ihn unglücklich gemacht, was will man mehr? Als mich die zweite Liebe überkam, dachte ich, ich hätte den Mann meiner Träume gefunden. Elmar, ein Bibliothekar. Wie soll ich ihn beschreiben? Er war ein wandelndes Lexikon. Ein Ästhet mit einer angeborenen Abneigung gegen Adidas-Schuhe und romantisch bis in die Fingerspitzen. Mit ihm würde der Alltag nie schweißtreibend werden. Ich war glücklich. Bei Kerzenlicht verwöhnte er mich mit seinem kultivierten Lebensstil. Alles Grobe ließen
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