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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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halte mich gern an das Gesetz, denn es ist auf meiner Seite. Kennen Sie das Grundgesetz? Die Menschenrechtscharta?«
    Der Sachbearbeiter kräuselte irritiert seine Stirn. Was hatte er mit der Menschenrechtscharta zu tun? Mit Gesetzen, die Grund & Boden betreffen, damit, allerdings, damit kannte er sich aus.
    »Das Grundgesetz? Sie meinen wohl das Grundbuchgesetz …«
    Herr Mangold hob die Augen um Beistand bittend zum Himmel, dann deklamierte er langsam Wort für Wort: »Ich meine Grundgesetz, wenn ich Grundgesetz sage, mein Herr. Artikel 1, Absatz 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 2, Absatz 2. Das Recht auf körperliche Unversehrt…«
    »Ihren Vortrag können Sie sich sparen. Sie sind hier auf dem Bauamt.«
    »Lassen Sie mich aussprechen, und hören Sie mir ganz genau zu. Sie sind Diener, Staatsdiener, und drohen mir. Mir, der ich mit meiner Hände Arbeit als Installateur Ihre Bezüge finanziere. Und dessen vier Kinder in zwanzig Jahren Ihre fette Pension erwirtschaften werden. Sie drohen mir mit Abriss, wenn ich versuchen sollte, meine Familie artgerecht unterzubringen. Wissen Sie, was Käfighaltung ist? Sie wissen es nicht, denn Sie brauchen keinen Käfig mehr.«
    »Was erlauben Sie sich …!«
    »Ich bin noch nicht fertig. Artikel 6, Absatz 1. Schutz und Förderung der Familie. Wo, frage ich Sie, bleibt der gesetzlich garantierte Schutz meiner Familie, wenn man ihr im Ernstfall das bisschen Bude unterm Hintern abreißen würde? Wo bleibt das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn sechs Personen in drei Betten schlafen müssen und jeden Morgen mit blauen Flecken aufstehen. Hm? Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bei vierzig Quadratmetern Wohnfläche? Kommen Sie mir jetzt nicht mit Bangladesch oder Äthiopien und dass die Menschen dort in noch begrenzteren Verhältnissen leben! Die zahlen nämlich auch nicht meine Steuern und Gebühren.«
    »Wenden Sie sich an das Sozialamt oder das Wohnungsamt, wenn Sie eine größere Wohnung brauchen, und verschonen Sie mich mit Ihren Familienangelegenheiten. Was glauben Sie überhaupt …«
    »… vor wem ich stehe? Ja, das wüsste ich gern. Wie ist Ihr Name, Dienstbezeichnung? Der Name Ihres Vorgesetzten?«
    Das ist der Punkt, an dem der Beamte sterblich ist. Eine Beschwerde, wenn auch noch so weit hergeholt, empfindet er als Angriff auf seine Würde. Es folgte ein Einlenkungsversuch: »Ich bitte Sie! Das …«
    »Worum bitten Sie mich?« Herr Mangold, der Naturbursche, wusste um die Natur der Menschen, auch der Menschenähnlichen, der Bürokraten. Deshalb fühlte er, wie er langsam Oberwasser gewann, seitdem er nach Ross und Reiter gefragt hatte. Das Oberwasser verschaffte ihm natürlich keine Instantgenehmigung. Aber immerhin wurde er die nächsten Minuten höflich behandelt und mit dem Versprechen verabschiedet, bei der nächsten Bauausschusssitzung wolle man seinen Bauantrag einer gesonderten Überprüfung unterziehen.
    Es vergingen Wochen, Monate zogen ins Land, und die Mangolds warteten auf einen Bescheid. Nachdem das fünfte Kind geboren war, beschloss Herr Mangold, nicht mehr länger auf etwaige Beschlüsse der Baubehörde zu warten, egal ob wohlwollender oder ablehnender Art. Er erinnerte sich, dass auch der amerikanische Kontinent ohne die jeweiligen Baugenehmigungen indianerseits erschlossen wurde, und krempelte die Ärmel hoch. Der Erdaushub dauerte keine drei Wochen, und drei Monate später waren im Bauch der Erde ein paar Schlafzimmer und Versorgungsräume entstanden.
    Ein Richtfest fiel aus, denn es gab keinen First. Dafür feierte man eine fröhliche Gartenparty rund um die frisch angelegte Wildwiese, die auf dem Flachdach des neu geschaffenen Bunkers erblühte. Wenn man genau hinsieht, kann man zwischen Stachel- und Brombeersträuchern verborgen Oberlichten entdecken, durch die mittags die Sonne einen Blick in die Abgeschiedenheit frisch verputzter Kemenaten wirft. Und wenn man noch genauer hinschaut, kann man neben jeder Oberlichte eine Kübelpflanze auf Rollen erkennen: eine weit ausladende Konifere, die auf ihren Einsatz im Verdunklungsfall wartet. Natürlich rechnet niemand mit Krieg. Schon gar nicht, seit der Familienfrieden sich über ein erweitertes Territorium ausbreiten kann. Mangolds wissen diesen Luxus zu schätzen, wenn sie sich nun nach einem heißen Sommertag in den kühlen Niederungen ihres Souterrains zum Schlafen legen. Auch in stürmischen Winternächten haben sie es nie bereut, die Bauvorschriften

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