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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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Stimme wand sich nach oben, schlug mir entgegen wie Gegenwind. Ich wurde nervös.
    »Ganz ruhig, ist ja gut«, raunte die andere Stimme an mein Ohr. Ich folgte dem Nachbarn wie eine Marionette in sein Haus. Es gab keine Bücherwand in diesem Haus. Aber als er die Haustür hinter uns schloss, wusste ich: Ich bin in Sicherheit.
    Damit beendete die Pfälzerin ihre Erzählung und ergriff zärtlich die Hand ihres Retters. Der Werdenfelser und ich nickten ein wenig verlegen ihren letzten Worten nach. Die Intimität dieser Beichte verlangte nach gefüllten Rotweingläsern, die man klingen lässt, um dem Paar viel Glück zu wünschen. Ich hatte nur meine Bierdose in der Hand und kam mir sehr unbeholfen vor in dieser ungewollten Vertrautheit. Ich glaube, meinem Nachbarn erging es nicht anders. Er rutschte auf seinem Sitz hin und her, schweigsame Ergriffenheit war nicht seine Stärke. Also räusperte er sich erst einmal ausgiebig, und dann sagte er: »Na, so was! Ich sag’s ja immer: Nichts Schlechtes, was nicht auch sein Gutes hat. Ohne die Schwammerl, also den Merulius lami … oder wie der Hausschwamm heißt, ohne den müssten Sie immer noch diesen kopflastigen Bücherwurm shampoonieren. Sind S’ froh, dass ihn los sind!«
    Die Pfälzerin und ihr Herr Gschwendner lachten erleichtert, und der Herr Gschwendner zuckte die Achseln und meinte, so sei eben das Leben, des einen Pech, des anderen Glück. Ich löste mich endlich aus meiner verkrampften Haltung und setzte die Bierdose an. Wie sich herausstellte, hatte auch Gschwendner vorsorglich an Bier gedacht, und bald darauf stießen wir alle zusammen auf unsere Kreuzfahrt an, die für das Paar die Hochzeitsreise war. Mir fiel Lena ein, die so gerne reiste und die ich über meiner Schreiberei einfach nicht mehr wahrgenommen hatte. Auch sie hatte ihren Retter gefunden.
    Wahrscheinlich hat dieser Gärtner ebenfalls keine Bücher im Haus und riecht abends leicht schweißig, aber nach Leben. Die Pfälzerin traf mit ihrer Geschichte einen verwundbaren Nerv bei mir. Sie hielt mir einen Spiegel vor. Aber nun war es zu spät. Lena war verloren. Ich hätte sie jetzt gerne an meiner Seite gehabt. Der Stachel der Reue kratzte an meinem Herz. Ich konnte es kaum erwarten, zum Hafen und an Bord der MS Fortuna zurückzukommen, um mir an der Bar einen ordentlichen Seelentröster reinzukippen. Harald hatte schon recht. Trinken hilft.

SIZILIEN KANN MORBID SEIN

    N ach dem Ausflug zur Perle Andalusiens und dem Fünf-Sterne-Dinner an Bord, wo meine Tischgenossen mampfend darum wetteiferten, wer die haarsträubendsten Urlaubsanekdoten zum Besten geben konnte, war ich erst einmal bedient. Da ich nichts zu erzählen hatte, sah jeder in mir den dankbaren Zuhörer. Ich hätte eine Realsatire schreiben können, etwa mit dem Titel: Unterwegs unter Deutschen – eine Oechsle-Tour. Aber ich war zu erschöpft zum Schreiben. Nichts laugt mich so sehr aus wie die Gesellschaft von schnatternden Menschen bei vorbeiziehenden Kulissen. Ihr Gequatsche raubt mir die Konzentration, die ich brauche, um die Welt zu erfahren. Die Erdrotation ist mir Bewegung genug.
    Mein Geist verlangte nach Stille und mein von der Busfahrt verspannter Körper nach Lockerung, deshalb beschloss ich, den Tag im Spa-Paradies ganz relaxed ausklingen zu lassen. Da die meisten Passagiere abends dorthin schwärmen, wo die Post abgeht, also zu den Tanzflächen und Shows, ins Casino oder in Bars, war der Wellness-Bereich eine Oase der Erholung. Ich tauchte in dieser stummen Welt von Dampfgrotten, Aromasaunen und Sprudelbecken unter und überließ mich einer fließenden Trägheit.
    Der Geist verflüchtigt sich in solch osmotischer Atmosphäre, er geht leidenschaftslose Ehen mit Urelementen ein. Es ist beinahe so, als steige man hinab in ein anderes Erdzeitalter, als es noch keine Menschen gab, sondern nur das wallende Gedeihen von Pflanzen im Wasser und Wasser in Wärme und hin und wieder die schmatzenden Laute von Quastenflossern aus mineralischen Tiefen. Man wird ganz vegetativ in solch tertiärer Atmosphäre. Man atmet, man bewegt langsam wie eine Scholle mal die eine Flosse, mal die andere in der brodelnden Ursuppe. Das Hirn ist nur zu fötalen Empfindungen bereit, wohligen Empfindungen, die einem seit der Geburt abhandengekommen sind. Man möchte dieses zeitlose Reich der reinen Körperlichkeit nie wieder verlassen. In einem Whirlpool von glucksendem Salzwasser getragen spürte ich nicht einmal mehr meinen Körper, ich verdampfte oder

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