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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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rollender Gang erinnerte mich an Grizzlys. Im Keller schaltete er den Presslufthammer an. Er zeigte meinem Mann, wie man damit umgeht. Ganz locker halten, verstand ich, er musste nicht einmal brüllen, denn seine Stimme hatte Sound. »Ganz locker, ohne Krafteinsatz, die Maschine macht die Arbeit.« Dann verabschiedete er sich.
    Eine Weile, es mögen Wochen gewesen sein, sahen wir nur noch den Keller und verloren jedes Zeitgefühl. Elmar schaffte pro Tag einen Quadratmeter. Ihn gegen die Maschine ankämpfen zu sehen, war schrecklich. Technik ist einfach nicht sein Ding. Doch ich war diejenige, die den Bauschutt eimerweise hoch zum Container schleppte, pro Tag sechzig Eimer. Ich brauchte mein Mitleid für mich. Abends ließ er sich von mir mit Franzbranntwein massieren. Er war schmal wie ein Hemd, ich konnte verstehen, dass ihm die Arbeit zusetzte. Auch mir taten die Knochen weh. Aber mich massierte keiner, denn er war zu erschöpft.
    Er brauche zwei warme Mahlzeiten am Tag, schärfte er mir ein, als ich ihm nach dem Bad einmal nur Aufschnitt mit Brot ans Bett servierte, weil ich mich zum Kochen nicht mehr aufrecht halten konnte. Eiweißreich, fügte er hinzu, aber bitte kein Schweinefleisch. Lieber Lamm und Wild. Nachts knirschte er mit den Zähnen und schlug um sich, ohne es selbst zu merken. Er wurde von Angstträumen geplagt. Ich wanderte dann ein Stockwerk tiefer ins Wohnzimmer, auf das Biedermeiersofa, hart wie Naturstein, hart wie meine Muskeln, die völlig verkrampft waren.
    Wenn ich ihm ein Bad eingelassen hatte, schlief ich am Herd beinahe ein, wo ich jenseits seiner Seufzer und Klagen Wild, Geflügel und Meeresfrüchte schmorte, Rösti raspelte und Nachspeisen quirlte, denn er liebte Süßes als krönenden Abschluss. Bei der Salatsoße erreichte mich meistens sein Ruf nach Haarwäsche. Das war eine Gewohnheit aus glücklicheren Zeiten. Zeiten, in denen er, zufrieden von seinem Bürostuhl nach Hause gekehrt, mich mit duftenden Badeessenzen zu gegenseitiger Körperpflege verführt hatte. Von Gegenseitigkeit war nun nicht mehr die Rede. Er war der Macher, der Mann an der Maschine, und da könne man doch in Herrgottsnamen am Feierabend etwas Verwöhnung erwarten. Ich legte die Geflügelschere beiseite, wenn er mich rief, um ihm den Rücken einzuseifen. Wenn ich ihm das Haar shampoonierte, musste ich an mich halten. Der Drang, seinen Kopf unter Wasser zu drücken, wurde schier übermächtig. Dann dachte ich an seine Kinder. Okay, sie sind längst erwachsen, aber Kinder hängen ein Leben lang an ihren Eltern. Ich mochte sie, seine Kinder, sie sind in Ordnung, und ich überwand den übermächtigen Drang. Ich muss meine Haare tönen, sagte ich mir beim Blick in den Spiegel; die weißen Strähnen hatten sich in den letzten Wochen unglaublich durchgesetzt. Die Eieruhr klingelte. Herrje, die Klöße sind so weit. Ich löste mich von meinem Spiegelbild und rannte in die Küche. Es war einfach nicht die Zeit für Haarpflege.
    Eines Abends, als ich gerade einen Eimer voll Bauschutt zum Container schleppte, hörte ich unseren Nachbarn nach Hause kommen. Ich hatte ihn aus dem Blick verloren. Kein Wunder. Ich bewegte mich hauptsächlich unter Tage. Und ich sah auch kaum etwas, denn mein Gesicht war vom Steinstaub zugeweht wie eine Oase vom Sandsturm.
    »Das ist doch keine Arbeit für eine Frau«, sagte er und nahm mir den Eimer aus der Hand. »Wo ist denn Ihr Mann?«
    Ich machte eine stumme Bewegung Richtung Keller. Sein Blick entstaubte meine Haut, entstaubte mein stumpfes Haar. Es schmerzte, angeschaut und wahrgenommen zu werden. »Das ist doch keine Arbeit für eine Frau«, wiederholte er und streifte mir die Arbeitshandschuhe von den Händen. Mir gefiel die Behutsamkeit seiner Geste. Sie glich einer sakralen Handlung. Er hielt noch immer meine Hände in den seinen, und seine Augen ruhten auf mir, als sei ich eine Frau. Ich hatte vergessen, was ich war. Die Tränen drängten mir in die Augen, als wollten sie mich zum Leben erwecken.
    »Ist ja gut«, hörte ich seine Stimme an meinem Ohr. Die Stimme war sanft wie die einer Mutter, und ich hörte den Kompressor nicht mehr. Ich lehnte mich an seine Brust, er roch ein wenig schweißig, aber gut. Ich hatte vergessen, wie das Leben roch. Eine Weile hielt er mich fest, ich vergaß die Zeit. Ich hätte Wurzeln schlagen mögen. Dann nahm ich wahr, dass der Lärm aus dem Keller abbrach.
    »Wo bleibst du? Ich bat dich doch um eine Flasche Wasser. Hallo, hörst du mich?« Elmars

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