Trips & Träume
Hördi war einer der verrücktesten Freaks, die ich kannte. Auf einigen Partys in den Zeiten des Musikfiebers hatte ich ihn in Bestform erlebt. Aber er ist nie ausgeflippt. Selbst auf dem härtesten Trip nicht. Er hatte sich stets unter Kontrolle. Er war bekannt dafür, stundenlang durch die Stadt zu spazieren, Runde um Runde zu drehen. Man konnte ihn einen Einzelgänger nennen.
»Mensch, Hördi, schön, dich zu sehen«, flüsterte ich.
Ja, ich freute mich wirklich, diesen abgedrehten Typen zu treffen. Ich hatte ihn immer gemocht.
»Gestern Abend, vor dem Haus, in dem früher das Hot Rats war, wäre mir beinahe jemand ins Auto gelaufen. Der sah so aus wie du«, sagte ich.
Er grinste breit. Die Furchen in seinem Gesicht formierten sich zu Rissen in einem Felsen. »Ich kam aus Tscharlies Kneipe. Entschuldige, wenn ich dich erschreckt haben sollte.«
»Das ist unerhört! Wie können Sie sich nur so unhöflich benehmen!«
Die Frau war in Huguettes Alter. Sie war so aufgeregt, dass das kleine Hut auf ihrem Kopf ins Wanken geriet.
Hördi packte einen Ärmel meines Mantels und schob mich sanft in Richtung Tür. »Lass uns draußen reden.«
»Wer war das, kennst du die Frau?«
»Klar, das ist die Mutter von Fetzer.«
Fetzer. Noch einer aus unserer Korona.
»Was ist aus dem geworden?«
So leise wie möglich schlüpften wir durch den Türspalt ins Freie. Hördi holte ein silbernes Etui aus der Jacke, eines, das er früher schon mit sich herumgetragen haben musste, so matt und abgenutzt sah es aus. Er bot mir eine Selbstgedrehte an. Dankbar griff ich zu.
»Fetzer ist tot. Schon mehr als zehn Jahre.«
»Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst. Was ist passiert?«
»Unmengen von Alkohol, drei Schachteln Zigaretten am Tag, miese Jobs und eine gescheiterte Ehe. Irgendwann hat das Herz Probleme gemacht, schließlich hat die Leber aufgegeben.«
»Traurig«, sagte ich.
Ich hatte Fetzer bewundert. Er war stark gewesen, ein Beschützertyp mit einem mächtigen Bizeps. Er besaß eine große Klappe und ein noch größeres Herz, in dem alle Platz hatten. Aber er konnte zulangen, wenn es sein musste. Fetzer hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit besessen. Wenn er sich schlug, dann für eine Sache, nie um des Prügelns willen.
Ich nahm einen tiefen Zug an der Zigarette und musste husten.
»Ich hätte es wissen müssen. Du rauchst noch immer diesen Mördertabak, dieses schwarze Kraut, stimmt’s?«
Hördi grinste. »Damit haben wir früher sogar Tüten gedreht.«
»Ja, das haben wir. Rauchst du, ich meine ...«
»Hin und wieder zieh ich einen durch, ja.«
Wir schauten uns an. Dann mussten wir lachen. Hördi klopfte mir auf die Schulter. »Was machst du heute so, hast du Familie?«
»Ich bin verheiratet. Meine Frau heißt Mila. Wir haben eine vierjährige Tochter, Maja. Und du, was ist mit dir?«
»Ich brauche meine Unabhängigkeit. Freiheit ist das höchste Gut, sage ich immer. Ich bin solo. Ist besser so. Ich kann keine Kompromisse eingehen.«
Hördi steckte sich die zweite Zigarette an. Also immer noch Kettenraucher. Meine Neugier war noch nicht gestillt.
»Was arbeitest du?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin, wie soll ich sagen ...?« Er überlegte, was er sagen sollte.
»Na ja, zurzeit hab ich keinen Job. Ich habe alles mögliche gemacht, mal hier, mal da – im Supermarkt Kisten gestapelt, in einer Schraubenfabrik Schichten gekloppt. War nichts für mich. Ich hab’s mit dem Rücken. Dann mussten sie Leute entlassen. Tja, und schwupp war ich draußen. Seit fünf Jahren schon.«
»Das tut mir leid«, sagte ich.
»Ich komm klar. Aber was treibst du so?«
»Ich bin Journalist. Lange war ich Redakteur bei einer Frankfurter Zeitung, seit ein paar Jahren arbeite ich als freier Schreiber.«
»Das wolltest du schon immer, schreiben. Und worüber berichtest du so?«
»Über Musik.«
»Wie damals ...«, sagte Hördi, brachte den Satz aber nicht zu Ende.
Es entstand eine Pause. Wir zogen an unseren Kippen. Ich warf meine achtlos auf den Boden und trat sie aus.
Hördi schaute nachdenklich, mit dem Daumen deutete er zur Kapelle hin. »Wir kommen jetzt in das Alter, wo gestorben wird. Ich meine, Karen ... sie hatte Krebs.«
»Schlimme Geschichte«, antwortete ich, »Weißt du mehr darüber?«
»Nur das, was man so hört. Das volle Programm, Chemotherapie und so. Sie ist in Hamburg, wo sie all die Jahre lebte, zu Hause gestorben. Aber sie soll verfügt haben, hier in der Heimat beerdigt zu
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