Trips & Träume
eine einfache Version, ohne Schnickschnack. Die Tonfolge war eindeutig, die Melodie eindringlich, wenn auch ein wenig sentimental. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, wie neben mir eine Frau sich schnäuzte und die Augen rieb.
Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen? Manchmal stand ich regelrecht auf der Leitung.
Doch nun war ich mir ganz sicher. Das Lied, das Mark am Klavier spielte, war Andis Song, den er vor mehr als dreißig Jahren für Karen komponiert hatte. Den Billy mit seinem Kunstkopf aufgenommen hatte. Auf der Mother Universe war dann das Tonband verschwunden. Das Lied, das Mark auf dem Klavier spielte und das ich auf der Hinfahrt im Auto gehört hatte, war identisch mit »Karen’s Song«. So hatte Andi das Lied getauft.
»Aufhören, sofort aufhören!«
Der Ruf kam aus der ersten Reihe. Ein hochgewachsener Mann, Mitte dreißig, mit halblangen schwarzen Haaren, die er hinter die Ohren geklemmt hatte, war von seinem Platz aufgesprungen. Der Stuhl polterte auf den gefliesten Boden. Der Mann fuchtelte mit den Armen, sein jungenhaftes Gesicht war vor Zorn gerötet.
»Sofort Schluss damit!«
Diesmal brüllte er es heraus, der Schrei hallte von den Wänden wider.
Die Frau neben mir zuckte zusammen.
Unruhe brach aus. Die Gäste reckten die Köpfe, nicht wenige waren von ihren Plätzen aufgestanden, um das Schauspiel zu verfolgen. Die Frage, die mich und jeden hier beschäftigte: Wer wagte es, die Feier durch einen solchen Eklat zu stören?
Ich schob mich an ein paar Leuten vorbei und drängte zum Mittelgang, um besser sehen zu können. Ich war so aufgeregt, dass ich alles um mich herum vergaß.
»Passen Sie doch auf!«
Ich war mit jemandem zusammengestoßen und drehte mich um.
Moses schaute verdattert. »Satti, bist du das?«
»Weißt du, was da los ist, kennst du den Typen?«, fragte ich.
»Das ist William«, antwortete er.
»Du sagst es so, als müsste ich wissen, um wen es sich handelt.«
»William, der Sohn von Karen.«
»Du machst Witze.«
»Komm mit.«
Moses zog mich weiter. Vorbei an Sonny, Skip, Gero und Paul. Sie blickten überrascht auf, als sie mich sahen, ich nickte ihnen kurz zu. Dann standen Moses und ich auch schon vor dem Altar.
Mark hatte sich vom Klavier erhoben und wollte gehen. William stellte sich ihm in den Weg. Die Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Karens Sohn.
»Dieses Lied ...«, sagte William.
Mark unterbrach ihn. »Das kann ich erklären.«
William ließ sich nicht beirren. »Sie haben es gestohlen!«
Mark schien etwas erwidern zu wollen. Doch er entschied sich anders. Langsam drückte er sich an William vorbei. Als Mark seinen Stuhl erreicht hatte, beugte er sich zu Don. Mit einer Kopfbewegung machte er seinen Freund auf meine Anwesenheit aufmerksam. In diesem Moment trat ein Mann vor den Altar.
»Meine Damen und Herren, bitte beruhigen Sie sich. Nehmen Sie Ihre Plätze wieder ein. Ich bitte Sie von ganzem Herzen, setzen Sie sich!«
Er sprach mit gefasster Stimme. Er schien mein Jahrgang zu sein, vielleicht ein wenig älter. Er holte ein Taschentuch heraus und wischte sich die Stirn. Kräftige Statur, breite Schultern. Der Anzug, den er trug, verbarg nicht, dass ihm körperliche Arbeit nicht fremd war. Seine Hände, die er nun verschränkt vor dem Bauch hielt wie ein Mönch auf dem Weg zur Messe, zitterten.
»Verehrte Damen und Herren, ich bitte Sie, die Störung zu entschuldigen. Alle, die heute hier sind, haben Karen gekannt. Ich bin sicher, sie hätte sich sehr gefreut, wenn sie wüsste, dass Sie alle wegen ihr gekommen sind. Herr Pfarrer, bitte fahren Sie mit der Zeremonie fort.«
Die Leute nahmen wieder ihre Plätze ein. Mark setzte sich auf seinen Stuhl neben Don. Hilflos blickte ich mich um.
Wo war Moses abgeblieben? Auch Sonny, Skip, Gero und Paul konnte ich nirgends mehr entdecken. Hördi war anscheinend auch schon weg. Durch den Mittelgang ging ich zurück zu meinem Platz an der Tür.
Mark hatte Williams Frage nicht beantwortet. Was waren seine Worte gewesen? Dass Mark den Song gestohlen hatte? Ja, das hatte William behauptet. Vor mehr als dreißig Jahren hatte ich Mark schon einmal damit konfrontiert.
Mit großen Schritten eilte William an mir vorbei. Als er die Klinke der Kapellentür herunterdrückte, sprach ich ihn an. »Ich muss mit Ihnen reden.«
*
Zum zweiten Mal an diesem Morgen rauchte ich eine Zigarette. William gab zuerst mir, dann sich selbst Feuer. Er steckte die Hände in die Taschen seines Anzugs. Kein Mantel,
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