Trisomie so ich dir
eine Hilfe sollte das sein? Was sagt man zu jemandem, den man kaum kennt und dem grad der Langzeitehepartner von Sargträgern aus der Wohnung gezerrt wurde? Was zur Hölle hat man mit einer Frau zu besprechen, die im Treppenhaus steht und so sehr nach Verlust aussieht, dass man meint, man könnte sich an ihren Verlust anstecken? Solveig entscheidet, dass sie mit der Frau nichts zu besprechen hat und geht einfach hoch in ihre Wohnung.
»Was war denn da draußen für ein Geschrei?« Jenny sitzt im T-shirt und Slip am Tisch und klappert Kommunikatives in ihr Laptopgerät. Dann schaut sie kurz auf und sagt zu Solveig: »Boh, bist du blass, ist dir der Tod übern Weg gelaufen?« Diese Frage, obwohl es komplett korrekt und faktisch richtig wäre, jetzt mit einem ja zu beantworten, kommt Solveig nicht in den Sinn, also sagt sie erstmal gar nichts und geht ins Badezimmer.
Kaltes Wasser fließt über dürre Frauenhandgelenke, und Solveig wirft sich vom kalten Wasser ins Gesicht, auf das vielleicht endlich mal die Schwermut dieses Tages fort gewaschen würde. Eine leichte Erfrischung kommt auf. Beim Blick in den Spiegel stellt sie fest, dass sie kein ästhetisch benachteiligtes Mädchen ist, sondern eine hübsche, junge Frau, die wie eine zarte Blume mit krass roter Blüte wirkt. Solveig lächelt sich an und lächelt spiegelbildlich zurück. »Ich hab genau nirgendwo ein irgendwie geartetes Problem mit irgendwas«, denkt Solveig dann und fasst ihr Gesicht an und findet ihren gerade gedachten Satz sehr schlau. Ja, verdammt, denkt sie weiter, was hat das ganze Sorgenspektrum dieser Welt eigentlich mit mir zu tun? Noch mal ne Ladung kaltes Wasser rein ins überhübschte Frauengesicht, und dann riecht sie an ihren roten Haaren und ist erregt von ihrer eigenen frühlingshaften Erscheinung. Dass das Leben eher einem Ponyschlachthof denn einem regulären Ponyhof ähnelt, wird ihr immer bewusster. Das Geheimnis wird wohl sein, sich auch auf dem Ponyschlachthof irgendwie wohlfühlen zu können, das Gemetzel an den Tieren zu genießen, eine Niedlichkeitsphobie zu entwickeln und laut und psychotisch lachend durch Pfützen aus Blut zu springen.
»Der Typ von unten ist gestorben, der, der solange krank war, und seine Frau hat das irgendwie nicht so recht verkraftet. Ist noch Kaffee da?« Solveig betritt in einer Gelassenheit die Küche, die leicht modelaufdemlaufstegartig wirkt. Also falsch, künstlich und trotzdem fassadenschön. Sie schaut trocken ins Leere, dann gefühlsunbetont auf Jenny, die immer noch nicht aufschaut und dann sagt: »Aha, ja krass, guck mal in der Thermoskanne nach, da müsste noch ne Tasse rauszukriegen sein, aber Milch ist nicht mehr da.« Solveig wohnt seit fast zwei Jahren mit Jenny zusammen, die immer noch nicht gerafft hat, dass sie ihren Kaffee ohne Zusätze mag. Ihr fällt die Seltsamkeit auf, mit jemandem zusammen zu leben, der scheinbar überhaupt kein Interesse an persönlichen Vibrationen und Gefühlsmanagement zu haben scheint. Klar gab es diese Frauengespräche, manchmal, hier am Küchentisch, aber den richtigen wahren Tiefgang hatten sie nicht, sie waren einfach nur ein Austausch von Informationen über Ist-Stände in Liebesleben und Alltagen.
Jenny ist aufgestanden, läuft zum Kühlschrank, um sich an irgendeinem Saft unbekannten Ursprungs zu bedienen, während Solveig auf der anderen Seite der Küche mit dem Verschluss der Thermoskanne kämpft und schließlich gewinnt, um sich lauwarme, koffeinhaltige Plörre in eine Tasse zu gießen. Sie setzt sich auf einen Stuhl gegenüber von Jenny hin und lässt ihre Gedanken schweifen, während Jenny übereifrig irgendeiner Chatangelegenheit nachgeht.
Was bisher an diesem Leben verlässlich war, war die Unzuverlässigkeit, denkt Solveig. Immer passieren Dinge, die immer denen passieren, denen immer solche Dinge passieren. Solveig wird traurig, erst ein wenig, dann ein bisschen mehr, und sie geht noch mal ins Bad, wieder kaltes Wasser durch ihr Mädchengesicht reiben, und wird wieder etwas stabiler.
Die beiden Mädchen reden noch einige Mädchendinge, aber halten sich immer an der Oberfläche ihrer Befindlichkeiten auf, da, wo es nicht weh tut, da, wo noch das Zusammenleben gewährleistet werden kann. Nicht darüber, nicht darunter. Das Zusammenleben ist ein risikoarmes, aber die beiden Einzelleben sind immer wieder verstrickt in Verfickungen höchsten Grades. Sie erzählen sich ein wenig von ihren Lieben, die irgendwie wie Baustellen wirken, aber
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