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Trisomie so ich dir

Trisomie so ich dir

Titel: Trisomie so ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Baustellen sind doch manchmal interessanter als Bauwerke. Alles ist noch veränderbar, alles noch architektonisch manipulierbar. Da gibt es noch nichts definiertes, ein Leben aus Knete, das noch alles werden kann, was es jetzt nicht ist. Atomphysiker, Tanzlehrer, Nutte, Truckfahrer, Imbissverkäufer, Präsident und Busfahrer. Alles noch machbar in so einem Leben. Dabei hat Solveig manchmal einfach nur das Gefühl, auf ihre eigene Exekution warten zu müssen. Sie fühlt sich bereits verurteilt von irgendwem, den sie nicht kennt, eine höhere Macht, die sie auslacht oder so.
    Die Solveig hat ihre Leben-Baustelle, und die Jenny hat häufig wechselnden Geschlechtsverkehr. Beide geben vor, die Situation zu genießen und irgendwie stilecht gut zu finden. Solveig weiß, dass das Gefühl ins Leere zu lieben, so wie sie es scheinbar tut, ein wenig wie verbluten ist. Ganz langsames Verbluten. Und sie wünscht sich, dass irgendwann Emotionen einfach wachsen, an sie dran wachsen und sie mit irgendwem siamesische Gefühlszwillinge oder so was werden kann. Sie will die unsteigerbare Gefühlssituation, erkennt zwar auch die Gefahr darin, aber die Schönheit blendet ihr einfach die Augen klein und den Blick schmal. Es ist die ewige Suche nach dem inneren Kern des Menschen. Jenny hält ja irgendeinen Punkt in ihrer Muschi für ihren inneren Kern, denn wenn man sie da berührt, kommt da ein Feuerwerk in sie, das für Sekunden alles in ein Licht taucht, um aus der Außen- wie auch aus der Innenwelt einen guten Ort zu machen. Sie mag das geist- und herzlose Verwenden fremder Körper. Liebe ist für sie ein Luxusartikel, den sie sich nicht anzuschaffen wagt. Solveig hingegen ist auf der Suche nach Dingen, für die es sich zu sterben lohnt. Zum Beispiel Liebe. Aber immer mehr merkt sie, dass die Verstecke der Liebe immer ausgeklügelter werden.
    Die beiden Frauen geben vor, sich glücklich zu fühlen, machen jeweils gelogene Angaben zu ihrer Gesamtverfassung und fühlen sich einen Moment wie beste Freundinnen. Aber die Nichtexistenz von Vertrauen hindert die Gefühle am Explodieren. Man könnte sich in den Armen liegen und heulen, aber man gibt einander Tipps für die beste aller Haarkuren. Und sie sind beide nur halb so ganz wie sie aussehen, und ihre Körper und Seelen gleichen leidenschaftlich vorgetragenen Lügen. Das ist das geschlossene System des sozialen Verfalls, und die Frauen nennen dieses System Wohngemeinschaft.
    Die Abwesenheit des Mediums Herznähe, dafür Sprache, die an Oberflächen kratzt, unter denen unverdünntes Blut fließt. Da wo die Ehrlichkeit wohnt, da kommen die beiden nicht gemeinsam an. Es ist einfach für sie, zusammen zu sitzen, aber es ist so schwierig für sie, sich mit sich und dem Gegenüber auseinander zu setzen. Manchmal empfindet man mehr für einen Bäcker, der einem ein warmes Brötchen in die Tüte packt, als für den Menschen, mit dem man zusammen wohnt.
    Solveig geht irgendwann in ihr Zimmer, das Überhandnehmen der Oberflächlichkeiten in ihrem Leben und speziell an dieser Unterhaltung geht ihr doch mehr als wünschenswert wäre auf die Nerven. Sie fühlt sich wie etwas, das nicht am Leben teilnehmen darf, irgendwie unerwünscht und bedeutungslos. Als sie auf ihrem Bett eine Zigarette raucht und die Wand anguckt, wobei sie tatsächlich das Gefühl hat, dass sogar die Wand woanders hinguckt, da hat sie auf einmal das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen. Hübsch und unbeliebt, denkt sie, das geht doch nicht. Sie fühlt sich wie ein unentdeckter Schatz, einer, von dem erst noch mal Legenden erzählt werden müssen, damit sich die Männer aus aller Welt auf die Suche danach machen. Wie geht das, fragt sich Solveig, sich selbst zur Legende zu machen? Oder erst mal zu etwas, was Beachtung findet? Und davor zu etwas, was überhaupt erst mal wahrgenommen werden kann? Lieblos scrollt sie durch die Kontakte ihres Handys und fühlt sich kurz durch abgelegte Liebschaften und oberflächliche Beziehungen. Claudio, Dirk, Dorian, Emil … Sie schaut sich Emils Namen noch mal genauer an und versucht in Erinnerung zu bringen, warum es nicht hingehauen hat. Ja, sie war gelangweilt von ihm, und dann denkt sie, okay, er kriegt noch eine Chance, ich bin nicht verzweifelt, denkt Solveig, aber der Mann hat noch eine zweite Chance verdient. Langeweile hin oder her. Besser ist, wenn zweien gemeinsam langweilig ist, denkt Solveig und drückt gleichzeitig die grüne Anruftaste auf ihrem Handy, und es klingelt einmal,

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