Trisomie so ich dir
zweimal, dreimal, viermal. Und sogar noch öfter. Emil scheint nicht zu erreichen zu sein. Oder schlimmer noch: Er ignoriert sie. Kann ja gut sein, nach dem unguten Ausgang der letzten Begegnung.
Solveig widmet sich wieder ihrem Telefonbuch und scrollt wahllos darin herum. Ihr fallen ein paar Namen auf, die sie gedanklich mit verschiedenen Gesichtern und Geschehnissen abgleicht. Adam. Polnischer Aushilfskellner im Nachtclub. Ist ein Handjob für einen Freigetränkeabend nicht in Ordnung? Bea. Lesbische Studienkollegin, die immer mal wieder versucht, Solveig klar zu machen. Aber wenn ich Lust auf gleichgeschlechtlichen Verkehr hätte, dann bestimmt nicht mit einer Frau mit Oberlippenbart und kahl rasiertem Schweinekopf. Dennis. Gitarrist in einer begnadeten Indieband. Leider viel zu umschwärmt, um klar denken zu können. Ines. Beste Freundin im Dorf, aus dem Solveig kommt. Leider mittlerweile so verwachsen mit ihrer Bürgerlichkeit und seit zehn Jahren mit dem gleichen Partner zusammen, dass Solveig diese »best friends«-Geschichte derzeit häufiger in Frage stellt. Nino. Ein everybodys-Darling-Eisverkäufer, der mit seinem Blick nicht nur Eis zum schmelzen bringen kann. Viermal gefickt, bevor er sie fallen ließ. Simon. Freundlicher Typ aus dem Internet. Hat aber eine Freundin, die er nicht bescheißen möchte. Dieser ehrliche Idiot. Ulrike. Solveigs Schwester. Hat irgendwie mehr Glück, hat seit 2 Jahren einen tollen Mann und mittlerweile auch einen kleinen Sohn. Obwohl Glück ja immer relativ ist. Aber in Relation zu was eigentlich? Letztendlich will Solveig auch so ein Leben mit bürgerlichen Werten, müssen ja nicht unbedingt kleinbürgerliche Werte sein, aber jemand, der sie hält, ein verlässlicher Partner, der ihr eventuell Kinder machen und diese mit ihr ins Erwachsensein begleiten mag, das fände sie schon sehr schön. Dann summt ihr Handy … Emil … »Hey, äh … du hast mich angerufen?« Solveig überlegt, ob es Sinn macht, ihr von ihrer leicht verzweifelten Tiefsinnigkeit und ihrer kleinen Angst vorm Alleinesterben zu erzählen und sagt: »Ja, äh, hatte ich. Ich wollte mal fragen, was du heute Abend so machst?«
Sie trafen sich in der Stadt, in einem kleinen In-Café. Emil sah noch genau so langweilig aus wie sie ihn zuletzt zurückgelassen hatte, aber er war eine Option, nicht allein zu sein, nicht die Wände und die Decke des WG-Zimmers näher rücken zu fühlen. Sie begannen sofort zu trinken und verbale Belanglosigkeiten auszutauschen. Es folgten Discobässe, Desinteresse, falsches Lachen, Wirrwarr, Küsse im Taxi, die nach nichts schmeckten. Abgeschmackte Lieblosigkeiten. Ein Abend, beschienen von den bescheuerten Lichtern der Stadt und nicht verschiedener als andere Abende, an denen sich Solveig einsam fühlt. Jede Umarmung fühlte sich wie ein Mordversuch an. Nichts passte ineinander, dann doch, irgendwie, aber nur mit Geduld und Gewalt. Die Gewalt, sich zu überzeugen, dass man das Richtige tut. Der Mensch falsch, die Zeit falsch, die Liebe nicht vorhanden, aber ein Trieb, zwei Triebe, keine Romantik, nur der Versuch, Lustgewinn zu erzielen durch die Benutzung eines Körpers. Chaos und dann aufkeimender Wunsch nach Sexualität. Irgendwo blieb die echte Sehnsucht auf der Strecke und wurde durch das Gefühl ausgetauscht, dass man hat, wenn man auf der öffentlichen Toilette nach dem Kacken bemerkt, dass es kein Klopapier hat.
Ein Verzweiflungsfick mit dem langweiligen Mann. Die halbbesoffene Stimmung machte Solveig und Emil sich traurig und hektisch ausziehend, und dann lagen sie auf einem Bett, und es war sogar scheißegal, ob es das Seine oder das Ihre war, und sie fickten los, fickten in einem Tempo, so schnell, dass es wirkte, als wären sie auf der Flucht vor der Traurigkeit, die sowieso irgendwann wiederkommt und die dann, nach dem sinnlosen Benutzen fremder Körper immer noch ein bisschen schlimmer ist. Das Schlimmste aber ist wohl, dass dieser Sex nur ein bestimmtes Tempo haben kann und sich sogar schon in die Gewalt der Triebe traurige Gefühle mischen, die eigentlich beiden sagen: »Liebe Leute, Freunde der seelischen Verstümmlung, was zur Hölle macht ihr hier eigentlich?« Früge man die beiden das, sie hätten darauf keine Antwort. Ist aber keiner da, der fragt. Also machen sie ihr Ding zu Ende, verbinden zwei Körper, die nicht zu einem werden wollen.
Irgendwann ist der Quatsch vorbei, und es stellt sich nichts Behagliches ein. Sie reden kein Wort, denken und gucken
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