Trojanische Pferde
Weitere Mitarbeiter hatten sich versammelt, niemand schien seinen jeweiligen Platz zu besetzen. Mit vier Computertechnikern im Schlepptau eilte Daniel auf Walt zu.
»Wie ist der Stand der Dinge?«, sagte Daniel.
Walt drehte sich kurz um, blickte dann wieder auf die Bildschirme. »Alle Reaktoren liegen über tausend Grad.«
»Was bedeutet das?«, fragte einer der Computerleute.
Daniel sagte: »Noch ein paar Hundert Grad mehr, und das ganze Werk könnte in die Luft gehen.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, sagte Walt. Hektisch machte er sich über die Tastatur her.
Befehl: Notabschaltung
Systembefehl nicht erkannt
Befehl: Notabschaltung
Systembefehl nicht erkannt
Befehl:
»Jetzt reicht’s!«, schrie Walt. Er stampfte zum Ende der Konsole und ließ seine linke Faust auf den dicken roten Notabschaltknopf niedersausen.
Nichts geschah. Keine Alarmsirenen, kein Lichterflackern, keine Veränderung der von Rouge North ausgehenden Geräusche und Schwingungen. Daniel trat an die Konsole und warf einen Blick auf die digitalen Temperaturanzeigen. Alle lagen über eintausendeinhundertachtundfünfzig Grad Fahrenheit. Walt packte das Telefon, jagte über die Tasten.
»Ja! Sagt etwas! Ich kann es nicht glauben!«, rief jemand durchs Telefon.
»Zieht den Stecker! Gebt Feueralarm und scheucht alle Leute raus aus dem Werk!«, bellte Walt.
Im Raum brach Tumult aus.
Das wird auch nicht gerade viel nützen
, dachte Daniel.
Die Leute müssten schon sehr viel schneller laufen können als ich, um in zwei Minuten weit genug wegzukommen
. Ihm war klar, dass bei einem weiteren Anstieg von fünfzig bis sechzig Grad der gesamte Reforming-Abschnitt des Werks explodieren würde. Er dachte an Sasha, die mit den anderen Technikern draußen im Auto wartete, und bekam eine Heidenangst.
»Wo ist der Rechnerraum?«, schrie er.
Walt zeigte in die Richtung und war schon unterwegs, ließ humpelnd die dicken Beine wirbeln. Daniel sah die Tür ganz am anderen Ende des Werks und nahm seinerseits die Beine in die Hand, sprintete so schnell er konnte und hatte Walt nach wenigen Metern überholt.
Los jetzt, komm!
, feuerte er sich an. Es waren nur noch fünfzig Meter bis zur Tür, er schloss die Augen, ging gegen den Schmerzin der Lunge an und holte alles aus sich heraus. Dann war er an der Tür, stieß sie auf, ohne die Klinke zu drücken, stürmte durch den Elektro-Vorraum und durch eine Innentür, die jemand offen gelassen hatte, in den Rechnerraum. Er erstarrte. In den eins Komma siebenundsechzig Sekunden seiner Bewegungsunfähigkeit war ihm, als würde die Welt sich in Zeitlupe bewegen, doch schon im nächsten Moment sprang er los, langte hinter die Hauptreihe der Computerserver und zog eins, zwei, drei, vier nacheinander alle Stecker heraus. Nach Luft schnappend, machte er sich auf den Schock der Explosion gefasst. Doch dann erstarb das heulende Dröhnen, und durch die Wand und den Fußboden hindurch fühlte er das nachlassende Rumpeln der alten Rouge North.
Einen Augenblick später kam Walt hereingestürzt. Tränen standen ihm in den Augen. Er krümmte sich keuchend, dann ließ er sich an Ort und Stelle niedersinken. »Grad noch gerettet, altes Mädchen«, sagte er und schlug mit der flachen Hand auf den Boden. Er sah Daniel an, dann die Rückseite der vier Server. »Haben wir euch den Zahn gezogen, ihr blöden Arschgesichter.«
S EPTEMBER, LAUFENDES J AHR . A UF DER P EAK O IL C HALLENGER, VIERHUNDERTDREISSIG K ILOMETER SÜDWESTLICH VON N EW O RLEANS , L OUISIANA .
»Ich krieg es nicht abgestellt!«, schrie Nesbitt seinem Kollegen Jamison über Telefon zu. Er stand vor seinem Computerbildschirm, nachdem er soeben vom Vice President of Operations in Dallas angewiesen worden war, die ganze Anlage vom Netz zu nehmen.
»Was zum Teufel geht da vor?«, schrie Jamison zurück. »Ich hab gerade den Notabstellknopf gedrückt, und nichts passiert!«
»Bei mir genau das Gleiche!« Nesbitt machte sich Sorgen um seinen Job, den Aufstand, den sie in Dallas veranstalten würden. Der Schlamm überhitzte. Bald schon würde das Bohrloch verstopfen. Der »Schlamm«, eine Mischung aus Lehm, Ölen und Chemikalien, wurde das Bohrgestänge hinunter bis zum Boden desSchachts und aus der Bohrkrone herausgepumpt. Dabei sollte er die Bohrwelle kühlen, anschließend an der Außenseite zurück an die Oberfläche treiben und Gestein mitnehmen, bevor er gefiltert, gekühlt und wieder nach unten recycelt wurde. Falls die Temperatur nur noch wenige Grad
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