Tropfen im Ozean
hätte so gern die Augen zugemacht. Aber ich starrte auf die Straße. Orange, orange, orange, rot, orange... weiß, weiß, grell, orange... Autorücklichter, Gegenverkehr flutete an mir vorbei. Leere im Hirn. Völliges Unvermögen zu denken. Will ich das? Etwas in mir schreit: „Ja! Verdammt noch mal! Gib dich doch einfach hin!“
Doch: Das Schöne hört auf. Fast abrupt zieht J seine Finger weg. Warum? Dumpfes Gefühl in mir. Unbefriedigtes Verlangen. Was falsch gemacht. Böse gewesen. Nicht schön genug. Es ist so altvertraut, dieses Gefühl, dass das Schöne nie Erfüllung findet.
Wirre Gedanken besetzen mein Hirn. Doch es geht weiter.
Er nimmt meine Hand, die auf der Automatikschaltung liegt und führt sie zwischen seine Beine. Entsetzt bemerke ich, dass seine Hose längst offen ist. Wann hat er die aufgemacht? J stöhnt, kippt den Prosecco in einem Zug hinunter, wirft die Dose in den Fußraum, umschließt meine Hand mit seiner und fängt an, mir die Bewegungen vorzugeben. Rauf, runter, rauf, runter. Warum machte er es nicht gleich selbst? Und dann... dann kommt er. Er stöhnt noch lauter, ächzt, schreit. Komische Laute, die ich schrecklich finde. Meine Hand zuckt zurück. Ich sitze paralysiert am Steuer, bin nicht ich. Irgendwer anders, aber nicht ich. Habe nicht teil an dem Ganzen. Bin abgeschottet. Wage einen Blick auf sein Gesicht. Halbgeschlossene Augen, offener Mund, geifert er? Meine Hand ... verschmiert, stinkig, klebrig, eklig.
J lässt sich mit einem entspannten Laut nach hinten fallen, macht: „Ah, ah...“
Ich höre es. Fühle meine eigene ungestillte Sehnsucht. Fühle ein Monster im Hintergrund. Schnappe nach Luft. Verdrängen, schnell, bevor es kommt. Mein Verstand springt hervor wie ein Dompteur, bereit, die Bestie zu vertreiben. Aber ich hab sie gar nicht gesehen. Einen Schatten nur. Mir schwant, ich muss wissen, wie sie aussieht. Wie soll ich mich sonst wehren?
Eine halbe Stunde später. Wir waren da. Mit einem Erfrischungstuch hatte ich meine Hand einigermaßen gesäubert. Ich ekelte mich. Vor mir. Doch dann sein Satz:
„Kommst du noch mit hoch?“ J drehte sich auf dem Sitz zu mir und dieser Satz war für mich wie eine Wunderheilung, ein Mega-Pflaster. Mit einem Mal verstand ich die Panik nicht mehr, die mich befallen hatte. Er hatte mal zu mir gesagt, er nehme nur dann jemanden mit zu sich, wenn es ihm sehr, sehr ernst damit wäre. Und nun... wollte er, dass ich mit hochkam! Zum ersten Mal! Das hieß... das hieß... wir waren zusammen! Zittrig stieg ich aus.
Seine Wohnung war geschmackvoll und teuer eingerichtet. Er mixte uns einen Cocktail, etwas Starkes mit Rum, und ich trank drei davon. Die A-Körbchen. Der Nudelhintern. Endlich konnte ich sie vergessen. Das Beste: J machte das Licht aus. Göttlich! Der Alk und die Dunkelheit machten mich mutig und ich küsste ihn, streichelte ihn. Und ja: Ich fühlte etwas. Es pochte, pulsierte, schickte angenehme Impulse durch meinen Körper, die Bereitschaft, sich hinzugeben... da war sie, Gott sei Dank. Ich versuchte, sie festzuhalten, doch dann kam, was immer kam: Der Switch vom Akteur zum Zuschauer. Ich scannte mich selbst, den fetten Bauch, die kleine Brust, den Ring in der Mitte, das Höschen, das so zwickte, Js halboffenen Mund, der mich so gar nicht anmachte, das Keuchen, das tierhafte, triebgesteuerte dieses doch vor Sekunden noch ersehnten Aktes. Schloss die Augen, versuchte mich auf das Gefühl zu konzentrieren, auf mein Verlangen und... es erlosch. J fummelte an mir herum, fummelte an sich herum. Der Gedanke, der mich beherrschte, war: Bald ist es vorbei. Du schaffst das. Mein ganzes Sein war darauf ausgerichtet, herauszufinden, wie es am besten bei ihm funktionierte. Darin war ich genial. Zu genial. Vier Minuten später war er eingeschlafen.
Ich lag da, erleichtert, dass ich es geschafft hatte, frustriert, weil es auf diese Weise geschehen war. Ich verstand mich nicht. Ich verstand nicht, was die Leute am Sex so toll fanden, aber ich ahnte es jedes Mal, bevor dieser Switch geschah, und jede Nacht, in der ich wilde Phantasien hatte, die ich nie in die Realität umsetzen konnte, weil etwas mich bremste.
Der Morgen war heftig. Ich wachte auf, weil ich Kopfschmerzen und schrecklichen Durst hatte. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass ich in Js Wohnung war. Leise stand ich auf, suchte die Küche für ein Glas Wasser. Dann ging ich ins Bad und als ich mein Gesicht sah erschrak ich zutiefst: Kraterähnliche Schlaffalten
Weitere Kostenlose Bücher