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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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es sich vollends eingräbt“, quetschte ich mit gefletschten Zähnen hervor und legte den Spiegel so schnell wie möglich beiseite.
    „Moment, nicht so schnell, den brauchen wir schon noch“. Unbarmherzig drückte er mir das verhasste Objekt wieder in die Hand, ließ mich erneut eine Karikatur meines normalen Lachens geben und wollte exakt wissen, welche Stellen ich meinte.
    „Okay, am besten Sie machen einfach alle Falten weg“, sagte ich hektisch und platzierte entschlossen den Spiegel weit weg von mir.
    „Das geht leider nicht“, antwortete er. „Die Krähenfüße sind kein Problem, die kriegen wir weg... die Falten unter dem Auge kann ich allerdings nur um 50% reduzieren.“
    „Ist doch schon mal was.“ Ich sah auf den Boden, er auf den Monitor. Schweigen. Dann:
    „Ähm... wollen Sie das gleich haben?“
    Ich nickte. Schnell. Damit ich mich nicht noch anders entscheiden würde. Keine Krähenfüße mehr? Die Falten um 50% reduziert? Und nur ein kleiner Pieks? Klingt doch super!
     
    Eine halbe Stunde später stieg ich in mein Auto, klappte die Sonnenblende nach unten und griente in den Spiegel. Alles noch beim Alten. Okay, er hatte mir ja gesagt, dass das Botox erst in knapp zwei Tagen wirken würde. Aber ich war sehr zufrieden mit mir. Ich hatte etwas gemacht, was alle Welt verteufelte – und es war mir egal gewesen.
     
    Zwei Tage später war ich der unglücklichste Mensch unter der Sonne. Die Krähenfüße waren weg - die natürliche Mimik beim Lachen ebenso, was sich als ziemlich kontraproduktiv erwies. 
    Das Unterlid, das sich normalerweise beim Lachen nach oben wölbt, machte diese Bewegung nun nicht mehr mit - ich hatte ein Glotzauge, wenn ich lachte, und es wirkte unecht und künstlich. Meine Unterlider waren geschwollen und bräunlich verfärbt – ich sah aus, als litte ich unter chronischer Verstopfung. Zudem hatten die Augen aufgrund des gelähmten Areals beschlossen, einen neuen und vor allem absolut unvorteilhaften Faltenwurf auszuprobieren. Der stillgelegte Muskel verhinderte zwar die Krähenfüße, aber es bildete sich eine scharfe Falte am unteren Augenringmuskel - über die sich dann die Wangenhaut schob, wenn ich lachte –was mir den Charme einer Bulldogge verlieh.
    Masochistisch schaute ich mit hochgezogenen Mundwinkeln in jeden verfügbaren Spiegel, als ob mit dem nächsten Lachen der Alptraum vorbei wäre. Aber der Arzt hatte gesagt, die Mindestwirkung läge bei vier Monaten!
    Ich war kreuzunglücklich. Und kaufte mir eine XXL-Sonnenbrille.
     
    ***
     
    Frühsommer. J sah nach wie vor umwerfend aus und er wusste das. Er war dabei, sich in eine andere Ära zu schwingen, der Krone-Auftrag hatte ihm den Mut dazu gegeben. Er redete davon, sich einen SLR zuzulegen. Und ein Boot. Er kaufte sich neue Anzüge, maßgeschneidert, und ebensolche Hemden mit seinem Monogramm auf den Manschetten, was ihm super stand. Er war weiterhin lieb zu mir. Wir hatten beide nach wie vor wenig Zeit, manche Tage sahen wir uns gar nicht, manche nur für Minuten. Aber er war lieb zu mir. Wenn ich Sehnsucht hatte oder mir die Arbeit über den Kopf wuchs, ging ich ab und an in sein Büro, um mir ein paar Streicheleinheiten zu holen. Ich sehnte mich danach, meinen Kopf an ihn zu lehnen und mich einfach berühren zu lassen. Sanft. Aber das ging irgendwie nicht. Sobald ich das tat, verstand er das als Aufforderung zu mehr.
    „Nur schmusen“, murmelte ich und legte den Arm um seine schmalen Hüften. „Das reicht mir schon... nur ein bisschen ku...“
    Aber immer packte er mich. Immer erstarrte ich. Wartete, bis es vorbei war. Fünf Minuten max. Ah, ah! Zack. Ende.
    Dann: „Musst du nicht arbeiten? Mach es lieber jetzt, sonst kommst du zu spät ins Bett...“
    Und draußen war ich.
     
    All diese Partys, auf die er nun ging, um Kontakte zu knüpfen, auf die er mich manchmal mitnahm und mich als das fühlen ließ, was ich war: Seine Mitarbeiterin. Jemanden, den er bezahlte. Die Blicke der Gäste verrieten mir, was sie glaubten, wofür ich bezahlt wurde, wenn ich mich an seinen Arm klammerte, süchtig danach, anderen zu zeigen, dass ich ein Recht darauf hatte. Ah, sagten die Augen der Gäste: voller Leistungsumfang! Wie praktisch! Wir waren kein Team, wir waren kein Paar, wir waren Mitarbeiter und Chef. Und J schien sich unwohl mit mir zu fühlen. Er mochte es nicht, wenn ich mich bei ihm unterhakte. Er mochte es nicht, wenn ich fragte, ob er mit mir an die Bar gehen würde. All die jungen Dinger mit den irren

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