Tropfen im Ozean
die Brille nicht sauber, mal spiegelte sich der Schatten eines Kameramanns im Bild oder der Mikrofon-Halter schwächelte kurz und das pelzige Teil tauchte am Bildrand auf. Oft genug traf der Laiendarsteller so gar nicht den Ton oder die Stimmung, die wir wollten. Mit unserer Perfektion trieben wir etliche der Manager in den Wahnsinn, weil wir die Szenen wieder und wieder drehten.
„Was war denn jetzt schon wieder nicht richtig?“ klagte einer, den wir zum 14. Mal den gleichen Text sprechen ließen.
„Sie dürfen am Schluss Ihres Textes nicht nach unten schauen“, erklärte Rob zum ich weiß nicht wievielten Mal. „Schauen Sie in die Kamera – bis ich meine Hand hebe – dann können Sie mit Ihrem Blick wohin Sie wollen“.
Der Manager nickte. Das nächste Mal schaute er zwar permanent in die Kamera, verhaspelte sich aber erneut beim Text, so dass eine 16. Aufnahme erforderlich wurde. Der Mann war fast am Heulen und wir schickten ihn in die Mittagspause.
„Meine Fresse“, gluckste Rob. „Gib dem mal nen Schnaps, der ist so verklemmt, das wird sonst nix“.
Es war wirklich verdammt schwer, einen guten Film mit Laien hinzukriegen, aber das war eine der Bedingungen Zehngolds gewesen. Es sollten seine Leute in den Film, keine Schauspieler.
Wie immer war Rob nicht nur Kameramann und ich führte nicht nur Regie, wir alle betätigten uns vor allem als Animateure und powerten die Leute auf. Rob erzählte seine besten Witze, um die Leute zu lösen und ihnen ein Lachen ins Gesicht zu zaubern und wieder arbeiteten wir mit Musik, wenn wir keine O-Töne verwenden mussten. Die Tage waren lang – wir nahmen mit, was wir konnten, filmten die Gebäude bei Nacht, bei Sonnenaufgang, Untergang und in der Mittagssonne. Rob und ich waren pausenlos im Einsatz. Einzelne Szenen konnten wir erst drehen, wenn die Sonne im richtigen Winkel in ein gewünschtes Zimmer fiel und manchmal verpassten wir den Moment, weil wir mit einer Szene nicht fertig wurden. Dann mussten wir einen ganzen Tag warten und hoffen, dass der Zeitplan es zuließ, zur passenden Zeit am passenden Ort zu sein. Und dass die Sonne wieder schien. Zähneknirschend hängten wir noch einen Drehtag dran, auch, wenn uns das immens Geld kostete – J würde nicht begeistert sein – aber er hatte ja gesagt: „um jeden Preis“ und seine Hauptprämisse war, einen erstklassigen Film zu kreieren - das war unser aller Anspruch.
Am letzten Abend, nach zehn aufreibenden Tagen, saßen Rob und ich total erschöpft mit einer Flasche Sekt auf dem wunderschönen Gelände des Hamburger Firmengebäudes, von dem aus die Elbe zu sehen war. Endlich war es still. Nach diesen betriebsamen Tagen ohne Pause empfanden wir das beide als eine unglaubliche Wohltat. Keine Menschen, keine Gespräche, keine Termine, kein Druck.
Herr Zehngold hatte einen Park anlegen lassen mit einem großen Teich, Blumenrabatten, Bänken und Lauben. Riesige Bäume standen hier, warfen angenehmen Schatten. Möwen kreischten am Himmel und irgendetwas Großes – ein Bussard? - schwang sich in die Lüfte. Die Möwen weckten Fernweh in mir, diese unbestimmte, sehnsüchtige Trauer, die mich so oft befiel und als ich zu Rob sah, merkte ich, dass er seine Kamera gezückt hatte und den Raubvogel aufnahm. Er kniete auf dem Boden, holte den majestätischen Vogel mit seinem Objektiv heran. Ich sah, ohne Zoom, wie er mit sich mit ausgebreiteten Schwingen in den gigantischen Sommerabendhimmel schwang. Hell- und dunkelgraue Wolken, von feurigem, rotgoldenem Glanz hinterleuchtet, Lichtstreifen, die wie Engelsflügel im letzten Blau des Himmels aufstrahlten, schufen ein Bild unirdischer Schönheit. Die untergehende Sonne skizzierte die Szenerie durch ihre sich ständig ändernde Position in einer Kreativität und Vielfalt, die uns beiden den Atem nahm. Rob war voll konzentriert auf den Vogel, war geistig gar nicht da. Ich spürte, wie ich in meinem Inneren in etwas hinein fiel, in etwas Stilles, Großes, Unaussprechliches. Unwillkürlich fasste ich mir ans Herz. Das war so schön. Das war wunderschön. Mit staunenden Augen blickte ich in dieses gigantische, göttliche, absichtslose Fresko und fühlte tiefen, satten Frieden, der von nirgendwoher kam. Er war einfach da.
***
Ein paar Stunden Schlaf, dann fuhren wir nach diesen ermüdenden Drehtagen in drei Metropolen wieder nach Hause und sichteten das Material. Das Gehetze ging weiter. Wir tauchten ein in eine Welt der Bilder, Szenen, Texte und Songs. Wir hatten
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