Tropfen im Ozean
ihren Mienen erkunden.
Mein Druck ließ etwas nach, als ich immer mehr lächelnde Lippen und glänzende Augen sah. Allein die „normalen“ Szenen erweckten Begeisterung, Freude über die Schönheit der Aufnahmen. Sie waren überglücklich, wie gut sie rüberkamen und welche Wirkung das auf den Zuschauer hatte. Doch als es auf das Ende zuging, krampfte sich mein Magen erneut zusammen. Ich hatte persönliche Worte Zehngolds, Fragmente eines zufällig entstandenen Gespräches über seine Parkanlage, über die Natur allgemein und über sein Gott-Verständnis verarbeitet. Was hatte ich mir dabei gedacht? Ein Konzernchef, der über Gott redet? Über die Genialität einer intelligenten Instanz? An dieser Stelle wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte auf die Stopp-Taste gedrückt. Doch dafür war es zu spät.
Das Gesicht Zehngolds verblasste auf dem Bildschirm und wich dem Grün seiner Parkanlage, den riesigen Bäumen, zoomte auf ein Blatt, das in der Sonne badete, Gras, das sich im Wind wiegte, Licht, das durch die Bäume brach, das Glitzern des großen Teiches, der die Farben des Himmels und des Schilfs am Ufer in blassen Schattierungen wiedergab. Die Kamera hob sich in den Himmel in dieses gewaltige Naturereignis namens Sonnenuntergang. Im Hintergrund erklang der bis in jede Faser des Körpers dringende satte, tiefe Ton der Bamboo-Flöte. Ich hörte, wie viele Kehlen einen erstaunten Laut von sich gaben. Dann die Stimme Zehngolds. Er hatte eine schöne Stimme, klar, deutlich und ehrlich.
„Die Natur“, sagte er. „ist ein Geschenk Gottes an uns. Wir müssen das wahren. Schützen, wertschätzen... da ist eine weitaus intelligentere Macht am Werk gewesen als wir – nie werden wir das schaffen können, was für uns erschaffen worden ist... wir können nur gestalten - oder vernichten. Die Wahl liegt bei uns.“
Der Vogel kam ins Bild, flog, segelte, betonte das Gold, das Rot, jede Wolke in ihrer einzigartigen Schönheit, schwang frei und erhaben durch die Lüfte. „Ich persönlich“, verkündete Zehngolds Stimme. „... sehe darin eine Verpflichtung... diese Schönheit zu erhalten .... Schopenhauer hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: ‚Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten, aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen’ ... Menschen können viel erfinden, aber nicht das – das hier... ist göttlich, das ist nicht reproduzierbar... und das ist mir jede Sekunde meines Lebens und meiner Arbeit bewusst“.
Der Raubvogel segelte weiter, trug die Worte Zehngolds direkt in die Herzen, erhaben und mühelos, vor diesem riesigen, grandiosen Farbenmeer.
Das Bild fror unmerklich ein, tauchte ein in den stillen, langgezogenen Ton der Bambooflöte, während die Flügel des Bussards mit der Schwinge des Logos verschmolzen. Die raue, tiefe Stimme des Sprechers erklang:
„Krone – bewusste Qualität - Lebens -Qualität. Vertrauen Sie uns“.
Der Slogan, die letzten Worte, der letzte Flötenton - alles verklang. Der Film war zu Ende. Das Licht auf der Leinwand erlosch. Die Leute saßen im Dunkeln. Ich schloss die Augen.
Stille.
Stille.
Stille.
Nervös machte ich die Augen wieder auf, schaute mich um. Die Leute saßen gebannt. Wie in Trance. Dann endlich drehte sich einer zu seinem Sitznachbarn. Glitzerte da was Feuchtes in seinen Augen? Wo war Zehngold? Meine Augen rasterten in dem dämmrigen Licht die Stuhlreihen ab. Da. Da saß er. Unbeweglich. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Das war alles. Dann hob er die Hände und fing an zu klatschen. Ich kapierte nicht. War das Höflichkeit? Aber der laute Ton zerschoss die kontemplative Stille, die sich im Raum aufgebaut hatte wie ein Startschuss. Frenetisch fielen die anderen mit ein. Sie klatschten sich die Hände wund und ich sank, endlich, endlich, verschwitzt und erleichtert, in mich zusammen. Gott sei Dank. Gott sei Dank. Die Spannung fiel von mir ab und meine Augen suchten Rob. Er saß hinter seinem Laptop und hielt beide Daumen hoch. Ich stand auf, lief auf ihn zu und umarmte ihn. Ganz fest.
Herr Zehngold war dermaßen begeistert, dass er uns alle zum Essen in ein sündhaft teures Lokal einlud – und uns versprach, uns in seine Kreise einzuführen. Er wandte sich an mich: In etwa einer Woche fände eine Party statt, ob ich Lust hätte mitzukommen? „Und der Chef von JC natürlich auch“, sagte er mit einer leichten Verbeugung an J gewandt.
Ich war zu ausgepowert, um mich darüber zu wundern, dass J schon
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