Tropfen im Ozean
tiefer Flötenton füllte den Raum, drang in uns ein, so intensiv, so pur, so durchdringend, dass sich auf unseren Armen Gänsehaut bildete. Der Ton schwang durch unsere Körper, durch jede einzelne Zelle, verklang in der Stille, bevor er sich erneut zu einer klaren Tonfolge erhob. Auf der Leinwand erschienen die riesigen dunkelgrauen Wolken mit dem goldenen Glanz im Hintergrund und dem feurigen Rot, das durch die Lücken drang. Elisha sog die Luft ein. Wir waren total fasziniert von diesem Schauspiel und die schnörkellose Bamboo-Flöte im Hintergrund begleitete die Szenerie auf eine Weise, die uns den Atem nahm. Und dann kam der Vogel ins Bild. Majestätisch schwang er sich nach oben, segelte mit der Thermik. Mit der Luft unter den ausgebreiteten Flügeln ließ er sich treiben, ging mit dem Wind, mühelos, leicht, gottgegeben, wohin der Wind ihn trug. Er glitt durch die Farben des Himmels, durch das Rot, das klare Blau, das golden umrandete Grau, fühlbar eins mit sich und der Natur. Wir hatten alle drei den gleichen Gedanken zur gleichen Zeit. Elisha sprach es aus:
„Wow“, hauchte sie. „Das Firmenlogo ist genauso geschwungen wie ein Flügel... und schafft damit die Verbindung zur Natur, die sich Zehngold wünscht, als ökologisch-orientierter Konzern“.
„Rob, meinst du, wir können den Vogel an einer Stelle einfrieren, wo der Stand seiner Flügel mit der Form des Firmenlogos verschmolzen werden kann? Wenn wir beide Bilder übereinander legen...“
„Ja, aber das passt mit den Unternehmensfarben nicht zusammen“, sinnierte Rob, fühlbar gefangen von der Idee. „...und du weißt doch, dass Zehngolds Corporate Designer schon bei einem falsch gesetzten Punkt einen Anfall bekommt“.
„Aber wenn wir die Farben des Sonnenuntergangs langsam in die der Firma überblenden...“
„Hm... könnte gehen... könnte gehen... wir bräuchten zwei Standbilder... oder... warte mal...“ Rob schnappte sich den Spinningstift und eines seiner dicken Bücher. Der Stift raste über seine Finger und die Gedanken in seinem Hirn. Von der Kreativität des Moments gefangen hörte ich alle O-Töne, alle Gespräche, die ich von Zehngold hatte, nochmals komplett durch und fand ein Tape mit Aufnahmen, wo der Interview-Teil in eine private Unterhaltung abgeglitten war... als er mir seinen Firmenpark gezeigt hatte. Begeistert ließ ich Elisha Zehngolds Worte hören und sie bekam rote Ohren und ein rotes Gesicht, unweigerliches Zeichen für einen Sturm an Ideen, der in ihrem hübschen Kopf heranrollte. Sie untersuchte die Bamboo-Flötensequenz auf Herz und Nieren und passte sie dem Text an, schrieb sich den Verlag für Copyright und GEMA auf und machte sich an die Arbeit. Und das, was bei unseren Bemühungen herauskam, trieb uns allen die Tränen in die Augen, so schön war es.
Wir schafften eine vertonte 90%-Fassung zum angewiesenen Zeitpunkt. In voller Hektik fuhren wir direkt von JC nach Hamburg, wo die Vorabfassung vor den wichtigsten Managern und Zehngold präsentiert werden sollte. Es war gerade mal Zeit für eine Dusche gewesen, ein paar Sachen in die Reisetasche werfen - und ab ging es. Rob und ich wechselten uns beim Fahren ab, damit jeder von uns wenigstens ein bisschen Schlaf bekam. Jesus, so kaputt hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Noch dazu war ich aufgeregt, hibbelig und nervös.
Angespannt klappte ich, als wir am frühen Morgen Hamburg erreichten, die Sonnenblende herunter, um in den Spiegel zu schauen.
„Oh Gott, ich seh’ so Scheiße aus!“ entfuhr es mir.
„Du siehst nicht Scheiße aus“, sagte Rob mit gerunzelter Stirn. „... höchstens überarbeitet... und das ist kein Makel“.
Dankbar lächelte ich ihn an, schnappte mir das Schminktäschchen und richtete mich einigermaßen her.
Es war ein ähnliches Gefühl wie bei Kropp, nur noch größer, noch wichtiger, noch bedeutsamer. Auch dieser Film würde für unsere Zukunft entscheidend sein.
J war schon da, aber ich hatte keinen Nerv für ihn. Die Tage vorher waren wir so eingebunden gewesen in unsere Arbeit, dass ich mir null Gedanken wegen des geänderten Drehbuches gemacht hatte. Erst jetzt, so kurz vor der Präsentation, fuhr mir die Erkenntnis, etwas völlig Unzulängliches gemacht zu haben, wie ein heißer Elektroschock durch den Körper. Denn der gewagte, neu kreierte Schluss mit der Naturaufnahme und der eigenwilligen Verwendung des Logos sowie Zehngolds O-Tons war weder mit J noch mit Zehngold abgesprochen. Das war ein
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