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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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es nie gewaschen. Meine Haut war ungesund bleich und die hektisch aufgetragene Schminke machte es nicht besser. Im Gegenteil – ich sah ordinär aus mit den geschwollenen, dunklen Augenringen, der unreinen Haut, den nach unten hängenden Lidern. Mein Gott, wie alt war ich?  Hektisch rubbelte ich in meinem Gesicht umher, machte Rumpfbeugen - es wurde kein bisschen besser. Hielt den Kopf erneut unter Wasser, verzweifelt. In einer halben Stunde wollte J mich abholen!
    Emilies frisches Aussehen schoss mir in den Sinn. Die langen Wimpern über rosigen, runden Kindsschema-Bäckchen. Mein Hirn setzte aus. Fahrig griff ich nach der Bürste, fuhr sinnlos damit zweimal durchs Haar, klopfte mit den Borsten an mein Gesicht, rannte in die Küche, ließ einen Kaffee aus der Maschine, lief zurück, stieß die Cremes vom Waschtisch, fluchte unkontrolliert, knallte mit dem Kopf gegen den Handtuchhalter, als ich mich, über alle Maßen gestresst, nach den Tiegeln bückte. Tränen schossen mir in die Augen. Unsägliche, irrationale Wut ergriff mich, als ich sah, dass ein  Döschen in die hinterste Ecke gerollt war und mein Gesicht verzerrte sich zu einem unbeherrschten Aufschrei. In diesem Moment sah ich in den Spiegel und ich hasste, was ich sah. Eine greinende Fratze, eine Karikatur meiner selbst. „Herrgott noch mal! Reiß dich zusammen!“ schrie eine Stimme in meinem Kopf. Mit zitternden Fingern tippte ich eine SMS ins Handy: „Brauche halbe Stunde länger“. Hoffte, dass J nicht hier warten wollte. Dachte mir, wie blödsinnig das war – ich konnte nicht so gehen, konnte nicht so gehen! Was bat ich um eine halbe Stunde? Verdammt, lamentier hier nicht rum! Tu was! Tu was! Ich trug so viel Makeup auf wie vertretbar war, aber ich sah einfach widerlich aus. Nahm ein Tissue und wischte das Zuviel wieder weg. Unter den Augen bildeten sich welke Falten von all dem Gerubbel. Entsetzt starrte ich mich an.
    Meine Haut war schlaff, mein Körper ebenso, mein Haar war stumpf und die Tönung stank nach Chemikalien. Das heißt – ich stank nach Chemikalien. Mein Gesicht sah alt aus. Ich fühlte mich alt. Ich fühlte mich nicht fähig, J, diesem Bachelor-Typen, gegenüber zu treten. Dennoch lief ich wie ferngesteuert vom Bad ins Schlafzimmer. Was sollte ich anziehen?
    Mein Blick fiel auf den lebensgroßen Ankleidespiegel mit dem goldenen Ornamentrahmen und ich sah mich an wie ein Lebewesen von einem fremden Stern. Sah diesen aus seiner ursprünglichen Form gekommenen Körper, das aus der Form gequollene, konturlose Gesicht, die aus der Form gekommene Seele. Ja, Chamäleons können ihre Gestalt ändern. Ich hatte sie geändert. Oh, mein Gott, aber wie!
    Und als ob diese Wahrnehmung mich an etwas Wichtiges erinnern müsste, kam mir mit einem Mal der Sonnenaufgang in der Wüste ins Bewusstsein, dessen Klarheit, Reinheit... drangen die Farben der Sonnenstrahlen wieder in mein Herz, rührten an etwas, was ich die letzten Jahre vor lauter Karriere, Aktivitäten und J komplett begraben hatte. Wie ein Trost, wie eine Erinnerung, wie ein Wegweiser entstand dieses Bild vor meinem Auge, als ob es mir sagen wolle: Es gibt eine unvergängliche Schönheit, es gibt etwas, was dich immer tröstet... es war wie ein kurzes Innehalten im Strudel all dieser negativen Gedanken und Gefühle.
    Wieder sah ich dieses unförmige, bleiche Ding da vor mir im Spiegel und ich wusste: Das war nicht ich. Das war ein von sich selbst entfremdeter Körper und da, darunter, lag der wahre, der eigentliche, er war noch da, ich konnte ihn spüren. Langsam schloss ich die Augen. Das bin ich nicht. Was bin ich nicht? Dieser Körper? Ich bin nicht nur mein Körper. Aber wenn der Körper Ausdruck meiner Seele war, dann stand es wirklich schlecht um mich.
    All die Jahre war ich nicht ich. War ich das jemals? Und wenn ich das schon nicht wusste, wie sollte ich dann überhaupt wissen, wer ich war? Gedanken stürzten auf mich ein. War ich nur eine Rolle? Sind wir lediglich Geschöpfe, die mal die eine, mal die andere spielten? Um schließlich an einer Identität festzuhalten? Hatte ich mir eine ausgesucht, in der ich mich entschlossen hatte, all das zu erleiden? Eine besonders beschissene? Und wessen Entscheidung war das? Meine Eltern schossen mir in den Kopf. Warum hatten sie mir nie die Liebe gezeigt, nach der ich so hungerte? Warum rannte ich genau demjenigen hinterher, der mich so offensichtlich ausnutzte, dass jeder außer mir die Augen nach oben drehte? Warum ließ ich das zu?

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