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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Empfinden, wie ich es beim Sex oft hatte, stellte sich ein: Ich trat aus mir heraus und beobachtete. Ließ mein Leben revuepassieren, zum ersten Mal ohne Schmerz zu empfinden. Ich weinte nicht. Worüber sollte ich weinen? Dass ich einen fetten Arsch hatte? Selber schuld. Dass J mit mir gespielt hatte? Selber schuld. Dass er mich beruflich wie privat betrogen hatte? Selber schuld. An allem war ich selber schuld. Hatte ich wirklich geglaubt, J würde treu sein, mit jemandem wie mir zusammen sein wollen? Nein. Tief unten wusste ich, dass es nie so gewesen war. Er war im Grunde ehrlicher als ich es je zu mir gewesen war, denn er  hatte mir nie wirklich Hoffnungen gemacht. Ich hatte mir etwas eingebildet. Mein Kopf hatte etwas haben wollen. Und hatte es nicht mehr losgelassen.
    Das beschäftigte mich. An welchen blödsinnigen Ideen hielt dieser Kopf noch fest? Und warum? Vor allem: Wie löste ich mich davon?
    Ich wollte verstehen, warum ich nie etwas sagte, wenn J mir das antat. Warum ich einfach stillhielt. Als ob es so sein müsste. Warum ich nichts fühlte außer Schuld. Warum ich etwas ersehnte, von dem ich doch wusste, dass es letztlich unangenehm war. Ein Gefühlswirrwarr aus Verachtung, Ekel, Genuss, Hoffen und Ersehnen eines Höhepunktes, der nie kam.
    Der Wein machte mich müde. Früher als gedacht lag ich schon wieder im Bett.
     
    Zweiter Tag. Fühle mich mies. Irgendetwas rumort in mir. Sehe auf mein Handy. Kein Anruf. Keine Nachricht. Okay, die anderen denken ja, ich bin auf Teneriffa. Aber J? Und plötzlich suche ich die Nummer des Hotels, und rufe dort an. Ich melde mich mit Bäumler. Ob ich Herrn Kolb sprechen könne. Ja, natürlich, wir stellen hoch. Bevor sie das tun, lege ich auf. Er ist geflogen. Er ist auf der Insel. Und sicher nicht allein.
    Mein Hirn vollführt Übersprungshandlungen und lässt mich das Wetter auf Teneriffa im Internet nachsehen. 19 Grad, wolkenloser Himmel und Sonne.
    Mit wem soll ich das teilen? Rob und Elisha sind trotz allem Angestellte und arbeiten unter mir. Soziale Kontakte hatte ich die letzten Jahre nicht gepflegt. Meine Eltern kommen mir in den Sinn. Und gleichzeitig die Unsinnigkeit dieses Anliegens. Und Anne. Die nächste Übersprungshandlung. Facebook. Ich schaue mir die Szene mit dem Frühstückstisch und den Zusagen noch einmal an. Die liebenden Augen von Annes Vater, die Freude ihrer Mutter. Und du? Allein. Keiner da. Es kommt niemand. Es kommt niemand. Niemand ist da.
    Und auf einmal schießt er hoch, der Schmerz. Zwingt mich in die Knie, verkrampft mich, kauere ich auf den Boden. Heiße Tränen treten über die zusammen gepressten Lider. Mein Mund öffnet sich, weit, ohne zu schreien. Es kommt ein Wimmern, ein Ausstoß, gewaltsam, qualvoll. Ein Heulkrampf, der mir im selben Moment, als er beginnt, affig vorkommt. Bevor ich mich auf den Schmerz überhaupt einlassen kann, um herauszufinden, wo er herstammt, kommt dieses Abschneiden. Das Austreten aus mir selbst.
    Ich bin nicht involviert. Irgendwas koppelt sich ab. Meine Gefühle koppeln sich ab. Ich beobachte mich wie ein fremdes, ekliges Insekt. Die trockenen, aufgerissenen Lippen, die sich über ungeputzten Zähnen verzerren, rieche den Weindunst von gestern Abend, sehe die verquollenen Augen, höre die komischen Laute, die da aus mir rauskommen. Wer ist das? Dieses Wesen? Zusammengefaltet liege ich auf dem Parkett, bis ich mir blöd vorkomme, verstehe nichts. Verstehe mich nicht. Verstehe das Leben nicht.
     
    Das Panikgefühl lauert noch da unten, ich spüre es deutlich wie ein wildes Tier, das, im Dschungel zurückgezogen, auf eine passende Gelegenheit zum Angriff wartet. Aber die Sonne scheint, das Zimmer ist lichtdurchflutet und ich hab das Bedürfnis auf eine heiße Dusche.
    Danach zog ich den Stecker vom Festnetz, schaltete das Handy aus, richtete für alle mail-Adressen eine Abwesenheitsnotiz ein, sagte der Putzfrau ab und stellte die Haustürklingel auf stumm.
    Noch zwei Tage.
     
    Stundenlang starrte ich Löcher in die Decke. Gedanken kamen und gingen und ich griff nur ab und zu einen auf. Dann bekam ich Hunger und überlegte hin und her, was ich tun sollte. Mein Kühlschrank war natürlich leer. Ich wollte keine Pizza oder Nudeln. Ich wollte aber auch nicht raus und einkaufen. Menschen und Begegnungen, und wenn es nur anonyme wären, waren das Letzte, wozu ich mich aufgerufen fühlte. Ich checkte meine Vorräte. Eine Packung Cornflakes, vor zwei Jahren abgelaufen, aus der eine Motte flatterte. Eine

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