Tropfen im Ozean
Warum hielt ich einfach still, wenn J was von mir wollte? Ich genoss es nicht. Und trotzdem wollte ich es. Das war doch schizophren! Warum tat ich das alles? Was machte ich hier? Was ergab das für einen Sinn? In mir stieg wieder dieses Monster hoch, das mit aller Gewalt nach draußen wollte, es brüllte in mir wie ein gefangenes Tier, ein Tier, das einen lockeren Stab in seinem Käfig entdeckt hatte, und voller Panik warf ich die innere Tür zu und stemmte mein ganzes Sein dagegen.
Heftiges Dauerklingeln riss mich aus diesem Anfall. Verwirrt öffnete ich die Augen. Klingeln, es klingelt, meldete mein Hirn. J ist vor der Tür. Panisch schaute ich mich um.
Da stand die Tasche, fast fertig gepackt. In der schönen Wohnung, auf dem fantastischen Parkett, das warm in der Sonne leuchtete und von dem ich nichts hatte, weil ich nie da war.
J... da klingelte er. Grell, laut, fordernd. Ungeduldig. Das Handy läutete, die Haustür läutete. Das Festnetz. Und in mir drin hallte alles tausendfach wieder.
Ich roch die giftige Farbe auf meinem Kopf, schmeckte sie auf der Zunge, sah den unförmigen Körper im Spiegel, dachte an J mit dem glatten Gesicht, dem athletischen Körper... Knack. Ende.
Der Schalter war umgelegt.
Mit wild klopfendem Herzen tippte ich die nächste SMS.
„Bin krank, Fieber und so. Komm nicht rein. Will dich nicht anstecken. lg.“
J klingelte nach Erhalt der SMS noch dreimal. Wütend. Lange, den Finger auf dem Knopf. Laut. Seine Faust schlug gegen die Tür, seine Gedanken schienen in den Raum zu schäumen: „Du blöde Tuss! Da opfere ich vier Tage und dann so was!“ Ich hielt still, die Nerven zum Zerreißen gespannt, hielt still, still, still... ein letztes, aggressives Sturmläuten. Dann war er weg.
Ruhe.
Endlich.
Es gab nur noch mich.
Wie eine alles erstickende Lederhaut fiel die Spannung von mir ab. Ich sank auf die Knie. Kauerte mich zusammen und lag minutenlang einfach auf dem Boden. Er war weg. J, der Stress, der Druck. Oh Gott, ich war frei! Frei! Langsam stand ich auf. Frei. Was für ein Wort.
Da war mein Bett. Ein kuscheliges Wasserbett, das mich in meine bisher so kurzen Nächte geschaukelt hatte. Barfuß stand ich in meinem schicken Appartement und sah mich um. Staunte über die schönen Dinge, die ich mir zugelegt hatte, als sähe ich sie zum ersten Mal.
Und mit einem weiteren verwunderten Gedanken wurde mir bewusst, dass ich wirklich FREI hatte. Vier lange Tage. Kein „Du musst gut aussehen“, „du musst was leisten“, „du musst rausfinden, was J so treibt und was er denkt“, „du bist zu fett“.
Ich war allein. Kein Mensch, der mich bewertete und beurteilte. Selbst ich gab Ruhe.
Ich legte mich in mein Bett und schlief einfach ein.
Auszeit
Den ersten der vier Tage verschlief ich komplett.
Gewohnheitsgemäß wachte ich nach drei Stunden, in der Embryonalstellung liegend, wieder auf. Brauchte ein bisschen, um die Situation zu vergegenwärtigen, aber der Hauptaspekt, der mir nach verfilzten zwei Minuten einfiel, war: Du hast frei! Langsam sickerte die Nachricht durch meinen ganzen Körper. Ich streckte die Beine im Bett aus, spürte, wie meine Füße die kühleren Stellen der Bettwäsche berührten. Ich hatte frei. Ich konnte weiterschlafen. Und das tat ich.
Als ich erneut aufwachte, war es Nacht. Ich befand mich in einer Welt, in der nur ich allein existierte. Das war schön. Das war seltsam. Niemand war da. Alles war still. Ich setzte mich an das große Panoramafenster, das mir der Makler so schmackhaft gemacht hatte: Kaufen Sie sich einen eleganten Sessel, oder zwei, stellen Sie sich vor, wie Sie Abends mit einem Glas Rotwein im dämmrigen Licht sitzen, den Sonnenuntergang und das Panorama der Stadt bewundern. Das hatte ich nie getan.
Wieder sah ich mich in meiner Bleibe um. In der Ecke stand eine Ansammlung unterschiedlich großer Stumpenkerzen. Der Kamin war seit Jahren mit Holz bestückt, Wein lagerte in der Küche, fachgerecht in einem temperierten Schrank. Ich fühlte mich wie in einer fremden Wohnung. Suchte Streichhölzer, holte ein bauchiges, großes Glas, eine Flasche Rotwein. Alles war perfekt eingerichtet. Bald flackerte romantisches Kerzenlicht, knisterte das Kaminfeuer, saß ich zum ersten Mal, seit ich meine Wohnung hatte, in dem schicken Eames-Sessel, legte meine Füße auf den Hocker, eine Wärmflasche im Rücken und trank Rotwein. Ich dachte an nichts Bestimmtes. Drängte alles weg. Ich war nicht bereit dafür.
Das
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