Tropfen im Ozean
Dose geschälter Tomaten. Dann dachte ich noch ein bisschen weiter nach. Zwei Tage – das reichte mir nicht.
Mir kam Urlaub in den Sinn und das fühlte sich ganz merkwürdig an. Urlaub! Der Gedanke aus alten Tagen: „Kann ich mir das leisten?“ schob sich hinterher. Aber als ich meine Konten checkte, traf mich fast der Schlag. Ich hatte eine sechsstellige Summe auf der Bank! Die Miete war fair, das Auto hatte ich günstig bekommen und ansonsten brauchte ich ja nichts. Das Geld hatte sich einfach jeden Monat angesammelt. Fünf Jahre lang. Ein Gefühl von Freiheit überkam mich. Ich könnte überleben, wenn das mit J nicht mehr klappen sollte! Ich konnte in Urlaub fahren! Aber diese Überlegung bremste meinen Enthusiasmus abrupt. Ich war Angestellte mit einem Jahr Kündigungszeit und ich konnte genau das nicht tun, einfach so in Urlaub fahren. Dennoch schob der Kontostand meine Laune so weit nach oben, dass ich die Kraft hatte, mich anzuziehen und einen Arzt anzurufen. Es war ein Leichtes, so wie ich aussah, eine Krankmeldung zu bekommen. Er gab mir volle vier Wochen. Ein wohliges, nie gekanntes Gefühl breitete sich in mir aus. Vier Wochen!
Danach fuhr ich in einen Bio-Laden und deckte mich ein mit Obst und Gemüse, Müsli, Biobrot und anderen gesunden Lebensmitteln. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel auf einmal gekauft. Auf dem Weg nach Hause sah ich überall Jogger, die, von der Sonne hervorgelockt, Feldwege und Straßen entlang liefen. Der Himmel war blau, die Sonne schien, es war mild und der Frühling stand vor der Tür. Und diese Tatsache wäre fast an mir vorbei gegangen.
***
Eine Zeit im Vakuum begann.
Ich wollte nicht fernsehen, weil mich das Programm extrem frustrierte. Gott, diese explosiven, exklusiven, brisanten Dramen, die immer mit den gleichen Special Effects in Szene gesetzt wurden! Zoom auf die Augen, auf den zitternden Mund, auf schwellende Brüste, oder Switch auf schwarz-weiß, Zeitlupe, die passenden Geräusche dazu, suggestive Musik im Hintergrund, diese so offensichtlich produzierte Aktivierung der niedersten Triebe im Menschen, die sich darüber freuten, dass ein anderer öffentlich auf die Fresse fiel. Die ihr Selbstbewusstsein damit aufpolierten, nicht ganz so blöd wie der im TV zu sein. Wenn es stimmte, was Elishas Katastrophenheini Ralf immer sagte, dass wir durch das Fernsehen verblödet werden sollten, dann wurde dieser Auftrag doch ziemlich vollständig erfüllt. Und immer wieder sah ich E!Liza, die sich ständig und überall in den Vordergrund drängte und irgendeine Show abzog.
Es schien, als ob man nur genügend peinlich sein und möglichst viele Tabus brechen musste, um in die Schlagzeilen zu gelangen. Ich hatte keine Lust, mir all diese Sternchen anzuschauen, die sich abstrampelten, nach oben zu kommen – und das, was sie für dieses „Oben“ so taten, war ganz schön erniedrigend.
Filme waren auch nicht viel besser: Je mehr Gebäude in die Luft gesprengt wurden umso besser. Je mehr Menschen dabei draufgingen, umso besser. Je grausamer die Zombies aussahen – umso besser. Alles musste immer doller und heftiger werden - eine Steigerung von egal was musste her, damit wenigstens noch ein bisschen Effekt für unsere abgestumpften Sinne fühlbar war.
Und selbstverständlich musste das gezeigt werden, was noch nie gezeigt wurde, bloß blieb halt da mit der Zeit nicht mehr viel übrig. Kein Furz war mehr tabu, kein in die Hosenmachen, von groß bis klein, so ziemlich alle Peinlichkeiten eines Menschen wurden exhibitioniert. Und schließlich: Casting, Casting und Casting. Superstar, Supertalent, die beste Band, die beste Stimme, das beste Kind, der beste Comedy, der beste Koch, das beste Dinner, die schönste Frau, der tollste Mann, die strengste Nanny, die asozialste Familie, die dreckigste Wohnung und die gewinnbringendste Kurtisane im öffentlichen Kampf um einen Sixpack- Bachelor. Und ich hatte geglaubt, die Menschheit entwickle sich weiter.
Was für eine Botschaft für die Welt und unsere Kinder, die in der Krippe schon fest entschlossen sind, Superstar oder Supermodel zu werden, erste Bulimieansätze entwickeln, um dem Schönheitsideal der Medien zu entsprechen. Willst du dir nen Namen machen, musst du auf die Straße kacken 3 – es war so wahr. Mich frustrierte das alles zutiefst. Es war ein Spiel, das ich nicht mitspielen wollte. Hatte die Welt wirklich nichts anderes zu bieten?
Per Mausklick kaufte ich mir Massen an esoterischen Büchern,
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