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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Abend.
    Er habe sie als „Willkommensgruß“ zum Essen eingeladen, verkündete er mir gerade, pflichtbewusst hinterher schiebend:
    „Ähm... willst du mit?“ mit einem „Sag bitte nicht ja-Blick“.
    „Nein“, antwortete ich müde. „Ich will nicht mit. Ich hab Arbeit.“
    Eine Weile stand er noch unschlüssig in der Tür. Dann, als ob es ihm gerade einfiele:
    „Aber nächste Woche... Teneriffa?“
    „In vier Tagen.“
    „Ja, super, ich freu mich drauf“.
    Tür zu. Kein Kuss. Keine Geste, nichts. Ach ja, wir waren ja nicht zusammen.
     
    Ich fiel. Schlussendlich. Leere im Hirn. Das Chamäleon hatte keine Farben mehr. Kurz vor der Häutung ist die Haut des Chamäleons trüber und heller als sonst. Durch Reiben und Rubbeln an Ästen, selbst mit den eigenen Zähnen, versucht es, den Vorgang zu beschleunigen. Bei einer schlechten Häutung geht es dem Chamäleon nicht gut. Mir ging es nicht gut. Gar nicht gut. Wie lange war es her, dass ich mich gehäutet hatte? Hatte ich das jemals? Es hieß, Chamäleons wachsen ein Leben lang. Es hieß auch, mit zunehmendem Alter und bei Krankheit werden die Farben blasser. Blass fühlte ich mich. Absolut. Krank auch.
    Die Zeit tickte, Sekunden verflossen, Minuten, Stunden. Die Kirchturmuhr schlug. Ich saß auf dem Schreibtischstuhl. Machte endlich die Augen wieder auf. Starrte auf mein Skript und zwang mich. Zur Arbeit. Die Dauer der Häutungsprozedur hängt vom Tier ab, mal dauert sie Tage, manchmal nur Stunden. Und ich? Kein Rubbeln, kein Reiben. Keine Häutung. Ich kam nicht raus.
     
    Es war für jeden offensichtlich, was in diesen vier Tagen zwischen Emilie und J passierte. Wir hörten die Geräusche aus seinem Büro. Und alle sahen mich an.
    Als ob ich etwas hätte tun können – offiziell waren wir kein Paar.
     
    Susann hatte vor Monaten schon ein schnuckeliges Hotel auf Teneriffa  gebucht. J wäre ausgeflippt, hätte er gewusst, dass ich sie damit beauftragt hatte, aber sie war einfach so perfekt. Ich sagte ihr, was ich wollte, Meerblick, Spa, fünf Sterne, Fitnessraum, um einen Anfang für Sport zu finden und Susann erledigte das. Ihre Augen fragten: Was erhoffst du dir? Aber ich war trotzig. In einer völligen Verdunkelungsphase, wollte nicht denken, handelte einfach einen Punkt nach dem anderen ab. Nächster auf der Agenda war Teneriffa.
    Ja, ich würde mit J in den Urlaub fahren. Nicht Emilie. Ich würde Urlaub machen – nach Jahrzehnten das erste Mal. Tja, Susann, ich hab wirklich keine Ahnung, was ich mir davon erhoffe. Nach allem, was passiert war, gab es kein Recht auf irgendeine Hoffnung. Vielleicht wollte ich einfach nur ganz unten ankommen, so richtig unten, um wieder Stand zu haben. Ich weiß es nicht.
     
    Obwohl doch alles klar war, stak ich wie die hängende Nadel eines Plattenspielers in einem „Du musst nur gut genug ausschauen, du musst ihn nur irgendwie beeindrucken“-Modus. Er hatte nicht abgesagt! Er fuhr mit mir in Urlaub – würde er das tun, wenn er nichts für mich empfand?
    Die letzten Tage war ich wie ein Schlafwandler durch die Gänge gelaufen und selbst J hatte es bemerkt. Unser Flieger ging mittags und er hatte gesagt, er hole mich schon morgens ab, um mit mir noch irgendwo feudal frühstücken zu gehen.
    Und genau diese Tatsache setzte mich gewaltsam unter Strom.
    Wir hatten noch einen Film fertig schneiden müssen, der erst in den frühen Morgenstunden endlich, endlich in einem Zustand war, dass ich ihn Rob und Elisha überlassen konnte. Dann war ich um vier Uhr früh nach Hause gestürzt, hatte mir eine Tönung aufs Haupt geklatscht und mir Beine, Achseln und Bikinizone epiliert. Ich war todmüde und die Frisur wollte nicht sitzen, ich föhnte und glättete, aber Doppelpunkt: Es sah bescheuert aus. Kein Wunder, ich war seit langem nicht mehr beim Friseur gewesen – wie auch. Mich entsprechend mies fühlend warf ich die im Internet erworbene und noch in Plastikbeuteln verpackte Unterwäsche in die Reisetasche, suchte ein paar andere Sachen zusammen und legte mich dann ins Bett.
    Die Tatsache, wieder viele Kilos mehr an Gewicht zu haben, wog schwerer als die Kilos selbst. Als nach zwei Stunden der Wecker klingelte, war mir schwindlig. Ich hielt mich für Sekunden am Regal fest, bevor ich in der Lage war, ins Bad zu gehen. Dort wartete eine Katastrophe auf mich: Ich selbst im Spiegel. Ein Déjà-vu – die erste Nacht mit J. Da war ich wieder. Noch schlimmer, noch kränker.
    Das Haar war zerknautscht und sah aus, als hätte ich

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