Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tropismen

Tropismen

Titel: Tropismen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Sarraute
Vom Netzwerk:
klapste er mit drei Fingern der rechten Hand, drei mal drei, auf das Holz, die wirklich wirksamste Geste zur Beschwörung. Denn seit er in seinem Zimmer beim Lesen der Bibel überrascht worden war, überwachten sie ihn genauer.
    Auch die Dinge mißtrauten ihm sehr und schon sehr lange; seit er, noch ganz klein, sie für sich zu gewinnen suchte, seit er versucht hatte, sich an sie zu hängen, sich an sie zu drücken, sich an ihnen zu wärmen, weigerten sie sich zu »gehen«, zu dem zu werden, was er aus ihnen machen wollte, »poetische Kindheitsgedanken«. Sie waren recht abgemattet, die Dinge, gut abgerichtet, sie hatten das ausgelöschte, anonyme Gesicht von geübten Dienern; sie kannten ihre Rolle und weigergerten sich, ihm zu antworten, zweifellos aus Angst, sie könnten entlassen werden.
    Aber außer dieser sehr seltenen, kleinen, furchtsamen Geste erlaubte er sich wahrlich nichts. Nach und nach war es ihm gelungen, alle seine dummen Schrullen zu unterdrücken, er hatte jetzt sogar weniger, als man normalerweise duldete; er sammelte nicht einmal – was nach allgemeiner Ansicht die normalen Leute taten – die Briefmarken. Nie mehr blieb er mitten auf der Straße stehen, um zu schauen – wie einst, beim Spazierengehen, wenn das Kindermädchen: so gehen wir doch! weiter! ihn zog –, er ging schnell hinüber und behinderte nie den Verkehr auf der Straße; und an den Dingen, sogar den einladendsten, sogar den beseeltesten, ging er vorüber, ohne ihnen einen Blick des Einverständnisses zuzuwerfen. Mit einem Wort, auch jene seiner Freunde, seiner Verwandten, die auf die Nervenheilkunde versessen waren, konnten ihm nichts vorhalten, außer vielleicht bei dem Fehlen von harmlosen und erquickenden Grillen, bei seinem gar zu gefügigen Anpassungsstreben, eine leichte Neigung zur Körperschwäche.
    Aber sie duldeten das; es war, alles wohl erwogen, weniger gefährlich, weniger unanständig. Von Zeit zu Zeit nur, wenn er zu sehr erschöpf war, nahm er sich die Freiheit, auf ihren Rat hin eine kleine Reise zu machen. Und wenn er dort unten gegen Ende des Tages spazierenging, in den unterm Schnee geborgenen Gäßchen voll sanfer Nachsicht, streife er mit seinen Händen die roten und weißen Ziegel der Häuser und blickte, sich seitlich an die Mauer schmiegend, denn er fürchtete zudringlich zu sein, durch eine klare Scheibe in ein Zimmer im Erdgeschoß, wo man vor das Fenster Blumentöpfe mit grünen Pflanzen auf Porzellanuntertassen gestellt hatte, und aus dem ihm warme, volle, von einer geheimnisvollen Dichtigkeit schwere Dinge – ihm auch, obwohl er unbekannt und fremd war – ein Fleckchen ihrer Ausstrahlung zuwarfen; wo eine Tischdecke, die Tür eines Geschirrschranks, das Stroh eines Sessels aus dem Halbdunkel traten und einwilligten, für ihn, barmherzigerweise auch für ihn, der dort verhielt und wartete, ein kleines Stück Kindheit zu werden.

XXIII

    Sie waren häßlich, sie waren seicht, gewöhnlich, ohne Persönlichkeit, sie waren wirklich zu sehr von gestern, Klischees, dachte sie, die sie schon so of und überall beschrieben gefunden, bei Balzac, Maupassant, in Madame Bovary, Klischees, Kopien, die Kopie einer Kopie, dachte sie.
    So gern hätte sie sie abgewehrt, gepackt und möglichst weit fortgestoßen. Aber sie blieben still um sie, sie lächelten ihr zu, liebenswürdig, aber bieder, äußerst anständig; die ganze Woche hatten sie gearbeitet, ihr ganzes Leben lang hatten sie nur auf sich selbst gezählt, sie verlangten nichts, nichts anderes, als sie von Zeit zu Zeit zu sehen; und ein wenig das Band zwischen ihr und sich zu stärken, zu spüren, daß der Faden, der sie mit ihr verband, da war, immer genau an seiner Stelle.
    Sie wollten nichts anderes als fragen – wie es natürlich war, wie es alle Welt machte, wenn sich Freunde, wenn sich Verwandte besuchten –, sie fragen, was sie Schönes unternommen habe, ob sie in der letzten Zeit viel gelesen hätte, ob sie of ausgegangen, ob sie das gesehen, und diese Filme, ob sie sie nicht gut fände … Sie, sie hätten Michel Simon, Jouvet so geliebt, sie hätten so viel gelacht, einen so herrlichen Abend verbracht …
    Und was all das betraf, die Klischees, die Kopien, Balzac, Flaubert, Madame Bovary, oh! sie wußten wohl, sie kannten das alles, aber sie fürchteten sich nicht – sie sahen sie artig an, sie lächelten, sie schienen sich neben ihr in Sicherheit zu fühlen, sie schienen es zu wissen, daß sie so of beobachtet, abgemalt, beschrieben worden

Weitere Kostenlose Bücher