... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
Menschen einen qualvollen Tod ersparen. Für diesen Mann war Leiden und Sterben nicht sinnlos, sondern – als Opfer – voll tiefsten Sinnes geworden. Ohne Sinn wollte er nicht leiden und sterben; ohne Sinn aber wollten es wir alle nicht! Und diesen letzten Sinn diesem unserem Leben hier – in dieser Lagerbaracke – und jetzt – in dieser praktisch aussichtslosen Situation – zu geben, das war das Bemühen meiner Worte.
Daß diese Bemühung ihr Ziel erreichte, erfuhr ich alsbald. Bald flammte die elektrische Birne an einem Balken unserer Baracke wieder auf, und ich sah die Elendsgestalten meiner Kameraden, die nun mit Tränen in den Augen zu meinem Platz heranhumpelten, um – sich zu bedanken... Daß ich aber nur allzu selten die innere Kraft hatte, mich zu solchem letzten inneren Kontakt mit meinen Leidensgenossen aufzuschwingen wie an diesem Abend, daß ich sicher so manche sich hierzu bietende äußere Gelegenheit nicht genützt habe, soll hier eingestanden werden.
Psychologie der Lagerwache
Bevor wir uns, nach der Besprechung des Aufnahmeschocks und der Psychologie des eigentlichen Lagerlebens, mit der dritten Phase innerhalb der seelischen Reaktion des Häftlings befassen, nämlich mit der Psychologie des aus dem Lager entlassenen bzw. des befreiten, wollen wir uns nebenher noch mit einer Sonderfrage beschäftigen, die dem Psychologen im allgemeinen und im besonderen demjenigen, der die Dinge auch selber erlebt hat, wiederholt vorgelegt wird: mit der Psychologie der Lagerwache! Wie ist es möglich, daß Menschen aus Fleisch und Blut andern all das antun, was mitgemacht zu haben letztere berichten? Hat einer, der solche Berichte anhört und sie nun einmal wirklich auch glaubt, zur Kenntnis genommen, daß so etwas überhaupt möglich ist, dann fragt er eben, wie es psychologisch möglich sein konnte. Um diese Frage zu beantworten, auch ohne auf sie näher eingehen zu wollen, müssen wir auf folgendes hinweisen: Erstens gibt es unter den Wachtposten eines Lagers ausgesprochene Sadisten, im strengen klinischen Sinne verstanden. Zweitens wurden die Sadisten eben ausgesucht, wann immer es galt, eine scharfe Bewachungsmannschaft zusammenzustellen. Zu jener negativen Auslese der Helfershelfer und Henkersknechte, wie sie unter der Masse der Häftlinge, etwa zum Zwecke der Stellung von Capos, stattfand, zu dieser negativen Auslese, von der wir schon sprachen und sagten, sie lasse es verständlich erscheinen, daß oft gerade die brutalen Elemente und egoistischen Individuen überleben konnten, zu dieser negativen Auslese trat im Lager also eine positive Auslese der Sadisten hinzu.
Wenn wir auf dem Arbeitsplatz, bei grimmigem Frost und praktisch ohne rechten Kälteschutz durch Kleidung, im Graben standen und die Erlaubnis hatten, turnusweise – jeder nach je etwa zwei Stunden – uns für einige Minuten zu einem im Freien aufgestellten Korbofen zu stellen, für dessen Beheizung man Zweige oder Holzabfälle verwenden durfte, dann herrschte unter uns allen natürlich große Freude. Dann gab es aber auch immer wieder einen Vorarbeiter oder Arbeitsführer, dem es einen Genuß bereitete, uns diese Freude eben zu nehmen, und es war nicht schwer, von seinen Gesichtszügen das sadistische Vergnügen abzulesen, mit dem er alles eigenmächtig verbat und den Ofen mitsamt der wunderschönen Holzglut in den Schnee stürzte. Und wenn jemand der SS nicht zu Gesicht stand, dann hatte sie auch immer einen Mann unter sich, dem sie den Armen überantwortete, weil bekannt war, daß jener ebenso hemmungslos wie in sadistischen Quälereien hochspezialisiert war.
Drittens wäre zu bemerken, daß ein Großteil der Lagerwache einfach überhaupt abgestumpft war durch die vielen Jahre, in denen sie gleichsam in zunehmender Dosierung Zeugen des ganzen sadistischen Betriebs im Lager geworden waren. Diese abgestumpften und in ihrem Gemütsleben verhärteten Menschen waren es dann hauptsächlich, die wenigstens den Sadismus in eigener Regie ablehnten; aber das war auch alles, denn gegen den Sadismus der andern unternahmen sie natürlich nichts.
Viertens muß aber auch noch folgendes bemerkt werden: Auch unter der Lagerwache gab es Saboteure. Ich will hier nur jenen Lagerführer aus dem Lager, in dem ich zuletzt war und aus dem ich befreit wurde, erwähnen. Er war SS-Mann. Nach der Befreiung des Lagers stellte sich jedoch heraus, wovon bis dahin nur der Lagerarzt (selber ein Häftling) wußte: Der Lagerführer hatte aus eigener Tasche
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