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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor E. Frankl
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waren, etwa bei Gestapo-Verhören.)
    Tage vergehen, viele Tage, bis sich nicht bloß die Zunge löst, sondern irgend etwas im Innern gelöst wird, und bis dann plötzlich das Gefühl eine Bresche schlägt in jene merkwürdige hemmende Barriere, von der es bis dahin noch eingedämmt war. Dann gehst du eines Tages, ein paar Tage nach der Befreiung, übers freie Feld, kilometerweit, durch blühende Fluren einem Marktflecken in der Umgebung des Lagers zu; Lerchen steigen auf, schweben zur Höhe, und du hörst ihren Hymnus und ihren Jubel, der da droben im Freien erschallt. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, nichts ist um dich als die weite Erde und der Himmel und das Jubilieren der Lerchen und der freie Raum. Da unterbrichst du dein Hinschreiten in diesen freien Raum, da bleibst du stehen, blickst um dich und blickst empor – und dann sinkst du in die Knie. Du weißt in diesem Augenblick nicht viel von dir und nicht viel von der Welt, du hörst in dir nur einen Satz, und immer wieder denselben Satz: »Aus der Enge rief ich den Herrn, und er antwortete mir im freien Raum.« – Wie lange du dort gekniet hast, wie oft du diesen Satz wiederholt hast -, die Erinnerung weiß es nicht mehr zu sagen... Aber an diesem Tage, zu jener Stunde begann dein neues Leben – das weißt du. Und Schritt für Schritt, nicht anders, trittst du ein in dieses neue Leben, wirst du wieder Mensch.

Die Entlastung
     
    Der Weg von der seelischen Hochspannung der letzten Tage des Lagerlebens, der Weg von diesem Nervenkrieg zurück zum Seelenfrieden, ist nun keineswegs ein Weg ohne alle Hindernisse. Und man ist im Irrtum, wenn man glaubt, der aus dem Konzentrationslager entlassene bzw. befreite Häftling bedürfe keiner seelischen Betreuung mehr. Fürs erste hätten wir vielmehr eines zu bedenken: einem Menschen, der durch längere Zeit unter dem ungeheuren seelischen Druck gestanden ist, den das Konzentrationslager bedeutet, einem solchen Menschen drohen naturgemäß auch nach der Befreiung, ja gerade wegen der plötzlichen Druckentlastung, die seine Befreiung darstellt, gewisse Gefahren in seelischer Beziehung. Diese Gefahren (im Sinne einer psychischen Hygiene) sind nichts anderes als sozusagen das psychologische Gegenstück zur Caisson-Krankheit. So wie der Caisson-Arbeiter in seiner leiblichen Gesundheit bedroht ist, wenn er die Taucherkammer plötzlich verließe (in der er unter abnorm hohem Luftdruck stand), genau so kann auch der vom seelischen Druck plötzlich entlastete Mensch unter Umständen in seiner seelischen Gesundheit Schaden leiden.
    Vor allem konnte man bei primitiveren Naturen in dieser psychologischen Phase oft bemerken, daß sie nach wie vor in ihrer seelischen Einstellung unter der Kategorie der Macht und der Gewalt verharren; nur, daß sie nunmehr, als Befreite, selber diejenigen zu sein vermeinen, die ihre Macht, ihre Freiheit willkürlich, hemmungslos und bedenkenlos nützen dürfen. Für solche primitiven Menschen hat sich eigentlich nichts als das Vorzeichen der alten Kategorie geändert, es ist aus einem negativen ein positives geworden: aus den Objekten von Macht, Gewalt, Willkür und Unrecht sind die entsprechenden Subjekte geworden; aber sie haften eben noch an dem, was sie erlebt haben. Dies äußert sich oft in belanglos erscheinenden Kleinigkeiten. Wir gehen z.B. querfeldein, ein Kamerad und ich, dem Lager zu, aus dem wir vor kurzem befreit wurden; da steht plötzlich vor uns ein Feld mit junger Saat. Unwillkürlich weiche ich aus. Er aber packt mich beim Arm und schiebt mich mit sich mittendurch. Ich stammle etwas davon, daß man doch die junge Saat nicht niedertreten soll. Da wird er böse: in seinen Augen zuckt ein zorniger Blick auf, während er mich anschreit: »Was du nicht sagst! Und uns hat man zu wenig genommen? Mir hat man Frau und Kind vergast – abgesehen von allem andern – und du willst mir verbieten, daß ich ein paar Haferhalme zusammentrete...« – Nur langsam kann man diese Menschen zurückfinden lassen zu der sonst doch so trivialen Wahrheit, daß niemand das Recht hat, Unrecht zu tun, auch der nicht, der Unrecht erlitten hat. Und doch müssen wir daran arbeiten, diese Menschen zu dieser Wahrheit zurückfinden zu lassen, denn die Verkehrung dieser Wahrheit könnte leicht auch schlimmere Folgen haben als den Verlust von einigen tausend Haferkörnern für einen unbekannten Bauern. Denn ich sehe noch vor mir den Kameraden aus unserem Lager, der seinen Hemdärmel aufkrempelte und mir die

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