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Trucks. Erzählungen

Trucks. Erzählungen

Titel: Trucks. Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ausgestreckten Körper, der mit dem Gesicht nach unten auf der Straße lag. Nicht älter als dreizehn, auf den ersten Blick.
    Der Koffer war alt. Das braune Leder war zerschrammt und abgestoßen. Eine Wäscheleine war zweimal darumgewickelt und ungeschickt verknotet. Vicky beugte sich herab und schrak zurück, als sie das Blut in dem Knoten sah.
    Burt kniete nieder und drehte den Körper vorsichtig um.
    Vicky starrte hilflos zu Boden. »Ich will ihn nicht sehen«, sagte sie. Aber als sie in das blinde Gesicht des Toten sah, begann sie erneut zu weinen. Das Gesicht des Jungen war schmutzig, der Ausdruck darauf eine Grimasse des Grauens. Seine Kehle war durchgeschnitten.
    Burt stand auf und nahm Vicky in die Arme, als sie zu wanken begann. »Beherrsch dich«, sagte er sehr leise. »Hörst du mich, Vicky? Fall jetzt nicht in Ohnmacht.«
    Er sagte es wieder und immer wieder, und schließlich reagierte sie auf seine Stimme und klammerte sich an ihm fest. Sie hätten zwei Tänzer sein können, wie sie da auf der sonnenüberfluteten Straße neben dem toten Jungen standen.
    »Vicky?«
    »Was?« murmelte sie in sein Hemd.
     
    »Geh zurück zum Wagen und steck die Schlüssel ein. Und dann nimmst du die Decke und das Gewehr vom Rücksitz und bringst sie her.«
    »Das Gewehr?«
    »Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Vielleicht beobachtet er uns jetzt gerade.«
    Ihr Kopf flog in den Nacken, und der Blick ihrer schreckgeweiteten Augen richtete sich auf den Mais, eine wogende, auf-und absteigende Decke, die das Land bedeckte, so weit ihr Blick reichte.
    »Ich glaube, daß er fort ist. Aber warum sollen wir ein Risiko eingehen? Geh. Bring es her.«
    Sie ging steif, ihrem Schatten folgend, in der Mittagshitze zurück zum Wagen. Burt hockte sich neben den Jungen, während sie sich über den Rücksitz beugte. Weiß, keine besonderen Kennzeichen. Überfahren, ja, aber der T-Bird hatte ihm nicht die Kehle durchgeschnitten. Es war ein unsauberer, zerfetzter Schnitt - der Mörder war niemals in der Armee gewesen und hatte dort die Feinheiten des Tötens gelernt - aber er war tödlich. Trotzdem war er noch zehn Meter durch das Maisfeld gestolpert, tot oder tödlich verwundet. Und Burt Robeson hatte ihn überfahren. Aber selbst, wenn er noch gelebt hatte, als ihn der Wagen erfaßte, so machte das höchstens einen Unterschied von dreißig Sekunden.
    Vicky tippte ihn auf die Schulter, und er sprang auf.
    Sie trug die braune Army-Decke über dem linken Arm, das Gewehr - noch in der Hülle -
    in der rechten Hand, das Gesicht abgewandt. Er nahm die Decke und breitete sie auf der Straße aus. Vicky gab ein verzweifeltes kleines Stöhnen von sich, als er den Körper daraufrollte.
    »Bist du okay?« Er sah zu ihr auf. »Vicky?«
    »Okay«, sagte sie gepreßt.
    Er schlug die Seiten der Decke über den Körper und stemmte ihn hoch. Das schwere, tote Gewicht versuchte seine Arme durchzudrücken und seinem Griff zu entgleiten. Er packte es fester, und sie gingen zurück zum Wagen.
    »Mach die Klappe auf«, murmelte er.
    Die Ladefläche war vollgepackt mit Reiseutensilien, Koffern und Souvenirs. Vicky warf das meiste davon auf den Rücksitz, und Burt legte den reglosen Körper in den Wagen und warf die Heckklappe, sichtlich erleichtert, zu. Vicky stand neben der Fahrertür, das verpackte Gewehr noch immer fest umklammert.
    »Wirf es auf den Rücksitz und steig ein,«
    Er sah auf die Uhr; es waren gerade fünfzehn Minuten vergangen. Aber es schienen Stunden gewesen zu sein.
    »Was ist mit dem Koffer?« fragte sie.
    Er ging zurück zu dem Koffer, der wie der zentrale Punkt eines impressionistischen Gemäldes neben der weißen Mittellinie stand. Mit zitternden Händen nahm er ihn auf, stockte für einen Moment. Plötzlich hatte er das starke Gefühl, beobachtet zu werden. Es war die Art von Gefühl, über die er in Büchern gelesen hatte, zumeist in schlechten Romanen, ein Gefühl, das er immer angezweifelt hatte. Jetzt tat er es nicht mehr.
    Vielleicht waren Leute dort im Feld, viele vielleicht, und vielleicht schätzten sie gerade eiskalt ab, ob die Frau Zeit genug finden würde, das Gewehr aus seiner Hülle zu ziehen und zu benutzen, bevor sie ihn schnappen und zwischen die schattigen Reihen zerren, ihm die Kehle durchschneiden konnten....
    Mit klopfendem Herzen rannte er zum Wagen zurück, zog den Schlüssel von der Heckklappe ab und stieg ein. Vicky hatte wieder zu weinen begonnen. Sie fuhren los, und nach weniger als einer Minute war der

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