Trügerischer Friede
wimmelte von großen und kleinen Beibooten, die voll besetzt auf den einzigen Strandabschnitt zuhielten. Einen halben Warst hinter der flachen Böschung erhoben sich die Mauern einer Stadt.
»Kalisstron«, sagte Imansi rechthaberisch. »Ich habe es gleich gesagt.«
Die Wärter trieben sie vorwärts, scheuchten sie das Fallreep hinab in ein großes Beiboot, das daraufhin ablegte und die etwa einhundert Gefangenen zum Strand ruderte.
»Warum schießen sie nicht?«, fragte sich Torben halblaut und erriet damit Puaggis Gedanken.
»Richtig, Kapitän. Die vorderste Linie ist in Reichweite der Bombarden der Stadt, und bei der Anzahl von Feinden«, er blickte über den hohen Rand des Bootes und vergewisserte sich, dass er sich nicht täuschte, »braucht ein Geschützmeister nicht einmal zu zielen. Jede Kugel fände einen Rumpf zum Zerschlagen.«
Torben erinnerte sich an eine alte Piratentaktik. »Ein Vorauskommando hat die Stadt vielleicht von Land her eingenommen.« Er schaute zu den gewaltigen Wänden, die durch das Schneetreiben noch immer deutlich zu erkennen blieben, und geriet ins Zweifeln.
Die Befestigungen waren zu stark, es bedurfte eines Heeres, um sie zu erstürmen. Einen Handstreich hätte wiederum die Anordnung der vielen Feuertürme nicht zugelassen. Die Kalisstri, das wusste er aus eigener Erfahrung, überwachten
ihre Küsten sehr genau.
Als er sich länger umblickte, erkannte er, dass etwas Wichtiges fehlte: »Wir sind nicht in Kalisstron«, sagte er zu Puaggi und deutete auf die kahlen Klippen. »Ich sehe keinen einzigen ihrer Türme, mit denen sie von hoch oben das Meer beobachten.«
Knirschend lief der Rumpf auf dem flachen Sandstrand auf. Ihr Steuermann hatte das Boot mit viel Geschick und Augenmaß in eine der wenigen Lücken manövriert, während es genügend andere gab, die vor dem Ufer dümpelten und auf einen freien Platz warteten.
Im Eilmarsch wurden sie die Böschung hinauf und über die Ebene zur Stadt hin getrieben. Unterwegs brachen etliche der entkräfteten Gefangenen zusammen. Die Tzulandrier prügelten auf diejenigen ein, welche den Mädchen und Frauen zu Hilfe kommen wollten, bis sich keiner mehr in die Nähe der nach Hilfe Rufenden traute. So sehr sich Torben auch umschaute, er sah Varia nirgends. Ihre Gruppe wurde durch das Stadttor geführt. Unterwegs trafen sie auf Männer in dicken Uniformmänteln mit roten Schärpen, welche dem Anführer der Wärter Anweisungen erteilten, wohin er die Gefangenen zu bringen hatte.
Die Stadt war groß, und sie passte von ihrer Bauweise her weder zu Kalisstron noch zu Rogogard oder Rundopäl, das Torben als dritte Möglichkeit in Betracht gezogen hatte. Sie stapften durch den tiefen Schnee. »Die Stadt steht leer«, meinte er leise zu dem Palestaner. Puaggi nickte. Er klapperte mit den Zähnen, da er wie die meisten Gefangenen zu dünn bekleidet war.
»Es brennt nirgends Licht, und im Schnee vor den Türen gibt es keine Spuren«, verkündete er seine Beobachtungen. »Ich verstehe es nicht. Wenn die Einwohner vor den Tzulandriern geflohen sind, müsste man doch irgendwelche Hinweise erkennen. Es scheint, als seien die Gebäude schon seit geraumer Zeit ohne
Leben.«
»Ein Geschenk? Damit das Heer keine weiteren Verwüstungen in dem Land anrichtet?« Für Torben wurde es immer
verwirrender.
»Wer ließe sie denn freiwillig anlanden?«, brachte es Puaggi auf den Punkt. »Der ganze Kontinent hat sich zu einer Front gegen sie zusammengeschlossen, und hier wird ihnen ein Tor geöffnet?«
Dann erinnerte sich Torben, wo er die Uniformen schon einmal gesehen hatte. »Commodore, ich glaube, wir sind in Borasgotan.«
»Dann sind wir weit, weit im Norden des Landes«, meinte der junge Mann bibbernd und schlang die Arme um seinen Körper, als könne er die Wärme einfangen.
Ihre Wanderung endete in einem großen Lagerhaus. Die palestanischen Offiziere wurden von den Frauen und Mädchen getrennt und auf die andere Seite getrieben, wo man sie einem Dä'kay vorführte. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihnen und unterhielt sich mit jemandem. Er unterbrach das Gespräch, wandte sich ihnen zu.
Er sah wie ein klassischer Tzulandrier aus; unter dem dicken, schweren Mantel aus Pelzen schauten die bekannte Rüstung und die Beile hervor, und wie alle der Fremden machte er den Eindruck eines halbwegs gezähmten Raubtiers. Seine breite Statur verbarg die Person, mit der er sich bis eben besprochen hatte.
»Beifang«, meinte er in der ulldartischen
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