Trügerischer Friede
gestellt und auf seine letzte Gelegenheit gewartet, den Gegner zu besiegen.
Tokaro stieß das Schwert nach unten und fing den Schlag ab, der ihm von hinten in die Kniekehle gedrungen wäre; er wirbelte um die eigene Achse und ließ sich in die Hocke nieder, den Schwung zu einem mörderischen, senkrecht geführten Hieb nutzend. Tokaro hörte, wie die ältere Kensustrianerin aufschrie.
Ohne eine aldoreelische Klinge zu sein, besaß das Schwert dennoch eine verheerende Wirkung auf den aufrecht sitzenden Kensustrianer. Die Schneide fuhr knapp am Kopf vorbei, trennte zwei Haarsträhnen und das Ohr ab, glitt durch das ungeschützte Schlüsselbein und beendete seine Reise durch den Körper erst auf Höhe des Herzens, wo es im Brustkorb feststeckte.
Tokaro und der Kensustrianer schauten auf das Schwert und den seltsam blutlosen Schnitt, den es hinterlassen hatte, bis das Rot unvermittelt hervorschoss und der Krieger tot auf die Seite sank. Um ihn herum bildete sich ein See aus Blut.
Der junge Ritter erhob sich. Er ließ die Waffe in dem Leichnam stecken und trat vor den betroffenen Priester, der die Augen nicht von dem Getöteten abwenden konnte. Er war vermutlich der erste besiegte Kensustrianer, den er sah.
»Bin ich nun ein freier Mann?« Der Priester nickte, bemerkte das Blut, das an seinem Gewand haftete, und murmelte vor sich hin. »Und Ihr, seid Ihr zufrieden mit dem, was Ihr angerichtet habt?«, richtete sich Tokaro an die Kriegerin, in deren Augen Tränen schimmerten.
»Seinen Tod habt Ihr
zu verschulden, nicht ich. Als ich den Ersten aus Eurer Familie tötete, war es keine Absicht, doch den zweiten Verlust
schreibt Euch gut.« Niemand übersetzte seine Worte. »Komm. Wir versorgen deine Wunde«, sagte der Wärter.
»In meiner Zelle, nehme ich an.«
Der Kensustrianer reichte ihm die aldoreelische Klinge. »Nein. Es wurde ein Zimmer hergerichtet, in dem du verweilen kannst, solange du möchtest. Du bist nunmehr ein Gast in Khömalin, kein Gefangener mehr.« Die bernsteinfarbenen Augen musterten die Schulterwunde, in der ein Stück der Klinge steckte. »Wird es gehen, oder soll ich Träger rufen lassen?«
»Nein«, gab Tokaro sofort zurück. »Ich bin zum Gefecht gelaufen, also kehre ich auf meinen beiden Beinen zurück.«
Bald bereute er seine stolze Entscheidung. Die Wendeltreppe des Turms verlangte ihm die letzten Reserven ab, der Schweiß rann ihm von der Stirn, und mehr als einmal packte ihn der Schwindel. Der Ritterstand verlangte von ihm, keine Schwäche zu zeigen. Angor hätte dafür kein Verständnis. Als er endlich in der Kammer angelangte und allein war, musste er sich samt Rüstung auf das Bett sinken lassen und sich erholen, bevor er die eisernen Segmente eines nach dem anderen abschnallte. Nach einiger Zeit klopfte e9. Eine kleine Heerschar aus Kensustrianerinnen und Kensustrianern erschien, um ihn zu waschen und seine Verletzungen zu behandeln. Das linke Schlüsselbein schmerzte, die Stichwunde wurde genäht und mit Salben bestrichen, welche eine schnellere Heilung bewirken sollten.
Tokaro fühlte die Erschöpfung in den Gliedern und er schlief während der Pflege durch die vorsichtigen Hände ein,
noch bevor er etwas aß.
Er erwachte mitten in der Nacht, nackt im weichen Bett in einem halbdunklen Zimmer liegend. Der Hunger hatte ihn
geweckt.
Er stand auf, schlüpfte in das frisch gewaschene und nach
Kräutern duftende Untergewand und machte sich auf die
Suche nach Nahrung.
Auf dem Tisch neben dem großen runden Fenster, von dem aus er einen herrlichen Ausblick auf die erleuchteten Tempel Khömalins hatte, stand eine Auswahl an Speisen und Getränken, die er im Licht der Sterne und Monde kostete, Seine verletzte Stelle schmerzte nicht. Die Tür Öffnete sich, ohne dass sich der Besucher durch ein höfliches Klopfen anmeldete.
»Wer da?« Tokaro streckte die Hand nach der aldoreelischen Klinge aus, die auf dem Stuhl gegenüber ruhte.
»Ich bin es«, sagte eine leise, weibliche Stimme, und die Gestalt trat aus dem Dunkel des Raumes ans Fenster.
»Estra!« Er entspannte sich, legte das Stück Brot zurück, und bevor er darüber nachdachte, sprang er auf, um sie zu umarmen. Erst als er ihren Körper unter dem dünnen Stoff spürte, wurde er sich darüber bewusst, dass es kein ehrlicheres Eingeständnis seiner bislang verborgenen Gefühle gab »verzeih«, stammelte er und ließ sie los, aber sie hielt ihn ebenfalls umfangen, suchte seinen Blick.
»Nein, Tokaro. Es gibt nichts zu
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