Trügerisches Spiel (German Edition)
dem Fahrstuhlmord im Business District im Juli letzten Jahres gehört?« Ihre Haut war noch blasser geworden, wenn das möglich war.
»Ja, natürlich. Meine Kollegen haben damals in dem Fall ermittelt.«
»Ich war dort.«
»Ich verstehe nicht …« Er brach ab, seine Augen weiteten sich, als ihm bewusst wurde, wer sie war. »Die Studentin, die dem Täter entkommen ist.« Der Mordfall hatte große Wellen geschlagen, weil zwei Anwälte dabei gestorben waren, die beide schon Prozesse gegen die Mafia geführt hatten. Er hatte damals gehofft, dass damit endlich ein entscheidender Schlag gegen den Mafiaboss Antonio Leone geführt werden konnte, doch das hatte sich als unmöglich herausgestellt. Der Kerl war schlüpfriger als ein Aal, er war nicht zu fassen. Jeder Polizist kannte die Adresse seines luxuriösen Lofts, doch solange keine hundertprozentigen Beweise gegen ihn vorlagen, würde er nie verurteilt werden.
»Ja.« Das Wort war kaum zu verstehen. Ihre Finger waren weiß, so fest krampfte sie sie zusammen. »Mein Name ist Jocelyn Callaghan.«
Automatisch schob Jay seine Hand über ihre und drückte sie beruhigend, während er versuchte, sich an die Einzelheiten des Falles zu erinnern. Er war damals nicht daran beteiligt gewesen, deshalb wusste er nur das, was in den offiziellen Berichten vermerkt war. »Der Mörder wurde zu zweimal zwanzig Jahren Haft verurteilt, oder?«
»Ja.« Jocelyn zog die Schultern hoch, als wäre ihr kalt. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er für den Rest seines Lebens eingesperrt werden müssen.«
»Was haben Sie danach gemacht?« Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie einfach so ihr früheres Leben wieder aufgenommen hatte.
»Nachdem die Verbindungen zur Mafia aufgedeckt waren, ich einige Drohungen erhalten hatte und Anschläge auf mein Leben verübt worden waren, nahm man mich ins Zeugenschutzprogramm auf. Ich wurde mit einer anderen Identität in eine Kleinstadt im Mittleren Westen umgesiedelt.« Ihr Mundwinkel verzog sich geringschätzig. »Es hieß, ich wäre dort sicher, solange ich mich an alle Regeln halte.«
»Was ist passiert?« Ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend sagte ihm, dass Jocelyn nicht freiwillig wieder in San Francisco war, wo der Mob vermutlich immer noch nach ihr suchte.
»Obwohl ich alles getan habe, was mir eingebläut wurde, tauchte vor zwei Tagen ein Mann in meinem Haus auf, der mich töten wollte. Ich habe ihn überrascht und konnte aus dem Haus fliehen, doch er war dicht hinter mir. Er hat meinen Nachbarn angeschossen und schwer verletzt.« Sie schluckte hart. »Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Von der Polizei werde ich als die Täterin gesucht, weil er mit mir sprach, bevor der Verbrecher auf ihn schoss.«
»Das ist übel. Wie sind Sie entkommen?«
»Eine Schülerin hat mich auf dem Motorrad in die nächstgrößere Stadt mitgenommen.« Sie ignorierte seinen Blick auf ihren dicken Bauch und sprach rasch weiter. »Dort habe ich mir ein Motelzimmer genommen und den für mich zuständigen Marshal informiert. Er ist sofort losgeflogen und kam morgens an.« Tränen schimmerten in ihren Augen. »Ich dachte, ich wäre in Sicherheit, aber als ich gerade im Bad war, hat der Verbrecher uns gefunden und Matthew erschossen.« Wenn möglich wurde sie noch blasser. »Ich bin im letzten Moment entkommen und untergetaucht. Mir war klar, dass ich dem Zeugenschutzsystem nicht mehr trauen konnte. Irgendwer muss der Mafia meine neue Identität verraten haben.«
»Oder es hat Sie jemand unabsichtlich verraten.«
»Wer? Niemand in Mitchell kennt meine wahre Identität, und ich habe auch hier niemandem gesagt, wohin ich gehe.«
»Nicht mal Ihrem Freund haben Sie die Wahrheit gesagt?«
Verwirrt sah Jocelyn ihn an. »Ich habe keinen Freund.«
Jay nickte zu ihrem Bauch hin. »Und wer ist dann dafür verantwortlich?«
Jocelyn schien sich zu verspannen. » Niemand außer mir kennt beide Identitäten.«
»Okay, gehen wir also davon aus, dass es ein Leck gibt. Was genau wollen Sie jetzt von mir?«
»Ich möchte mein altes Leben zurück. Und ich möchte, dass die Verantwortlichen für das bestraft werden, was sie getan haben.« Ihre Augen verengten sich. »Vor allem aber möchte ich überleben. Ich will nicht, dass diese Schweine gewinnen und mein gesamtes Leben zerstören.«
Jay lehnte sich in der Bank zurück. »Wenn Antonio Leone dafür verantwortlich ist, dann wird es sehr schwer sein, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Wir haben schon so oft versucht, ihm
Weitere Kostenlose Bücher