Trust Me - Blutiges Grauen
schlau.”
“Und gewissenlos”, fügte Skye dazu. “Man sieht ihm seinen wahren Charakter auf keinen Fall an. Ich hatte eine Mitbewohnerin damals. Er muss mich schon eine ganze Weile ausspioniert haben, meine Gewohnheiten, wo mein Schlafzimmer liegt, wann ich allein bin. Er hat mich gezielt ausgesucht; sein Überfall war gut geplant. Wenn ich das Stickzeug nicht auf meinem Nachttisch gehabt hätte, wäre ich jetzt genauso tot wie die anderen Mädchen – und ein ungelöster Fall.”
“Mein Gott!”, murmelte Sheridan.
Bei der Erinnerung daran, wie sie auf Burke eingestochen hatte, verkrampfte sich alles in Skye. Nie hätte sie sich vorstellen können, welche Kraft so etwas forderte. Sie hatte ein-, zwei-, dreimal zustoßen müssen, bevor ihr Angreifer so geschwächt gewesen war, dass er von ihr abließ. Und trotzdem hatte er noch flüchten können. Doch sein Blut hatte wie Feuer auf ihrer Haut gebrannt, und es war über das ganze Bett verspritzt …
“Was soll ich denn nur tun?”, flüsterte sie. “Ich habe gegen ihn ausgesagt. So wütend, wie er mich beim Verlesen des Urteils angesehen hat … Ich glaube kaum, dass er vergessen hat, warum er im Gefängnis war.”
“Vielleicht solltest du untertauchen?”, schlug Sheridan vor.
Skye schüttelte den Kopf. “Und wie ist das mit der Angst, von der man sich nicht regieren lassen soll?”
“Nur für eine Weile. Bis wir sehen, wo er sich niederlässt und was er vorhat.”
“Er wird wahrscheinlich wieder zu seiner Familie ziehen.”
“Hat er denn noch eine?”
Seine Frau war es gewesen, die ihn an dem Morgen mit seinen Stichverletzungen zur Notaufnahme gebracht hatte. Die Ärzte hatten aufgrund seiner merkwürdigen Wunden gleich die Polizei informiert. Deshalb war Burke verhaftet worden und ins Gefängnis gekommen. Aber Jane hatte ihren Mann während der gesamten Verhandlung unterstützt. Skye konnte immer noch hören, wie sie vollkommen aufgelöst geheult hatte, als die Geschworenen das Urteil verkündeten. “Wahrscheinlich. Seine Frau hat beteuert, dass er unschuldig ist.”
“Ich will dich nicht verlieren, Skye, und du weißt, was Jasmine sagen würde. Wir sind im Moment ihre einzigen Vertrauten. Sie hat schon ihre Schwester verloren. Sie wird sicher nicht wollen, dass du ein Risiko eingehst.”
Skye rieb sich seufzend die Augen. Es war nicht richtig, Sheridan oder Jasmine da mit hineinzuziehen; sie mussten gegen ihre eigenen Dämonen kämpfen. Die drei Frauen hatten sich bei einer Gruppentherapie für Gewaltopfer kennengelernt, während sie versuchten, mit den traumatischen Erlebnissen fertig zu werden, die ihre Leben verändert hatten. Bei unzähligen Tassen Kaffee hatten sie dann Freundschaft geschlossen.
“Als wir
The Last Stand
gegründet haben, wollten wir keine Angst mehr haben, erinnerst du dich? Wir haben beschlossen, den Menschen, die uns wehgetan haben, keine Macht über uns zu geben.”
Vielleicht hatte sie das noch nicht vollkommen geschafft. Aber sie versuchte es. Sie konnte nicht einfach aufgeben.
“Aber der Mann, der mir den Schrecken meines Lebens eingejagt hat, wohnt wahrscheinlich am anderen Ende des Landes”, sprach Sheridan weiter. “Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie man noch funktionieren soll, wenn man jederzeit zufällig über eine Person stolpern könnte, die einen töten wollte – irgendwo auf der Straße oder im Einkaufszentrum.”
Aber was blieb Skye anderes übrig?
Sie dachte kurz darüber nach, zu ihrem Stiefvater zu fahren. Sie könnte dort untertauchen und vielleicht wieder in seine Nähe ziehen. Andererseits: Wenn Burke wirklich entschlossen war, sie zu finden, dann würde es ihm früher oder später auch gelingen. Sie beabsichtigte nämlich keineswegs, alle Verbindungen zu den Menschen und den Orten zu kappen, die sie liebte. Sie würde sich von ihrem Peiniger nach dem Überfall nicht noch einmal wehtun lassen – nicht noch mehr, als er es sowieso schon getan hatte. Außerdem fühlte sie sich ihrem Stiefvater nicht so stark verbunden. Er war zu ihrer Mutter gezogen, als Skye neun gewesen war. Vier Jahre später hatte er sie schon wieder verlassen. Auch wenn Joe vielleicht damals in der Lage gewesen war, ihren Vater zu ersetzen, den sie mit zwei Jahren durch einen Skiunfall verloren hatte – sie hatte nur wenige Jahre mit ihm zusammengelebt.
Auf keinen Fall konnte sie Sheridan und Jasmine die Arbeit bei
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allein überlassen. Sie waren nur eine kleine Truppe, die sich für die Opfer
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