Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
dass es ein Weiser ist?“
„Das wusste ich nicht. Ich hab es erst viel später, als ich schon Jahre mit ihm gearbeitet habe, erkannt. Vorher war ich gar nicht sensibel dafür.“
Für eine Zeitlang war ich stumm. Michael respektierte mein Schweigen.
„Es folgten viele, viele Gespräche“, erinnerte ich mich, „jahrelang. Ich entdeckte, wie viele Muster ich von meinen Eltern übernommen hatte, an wie viele Schwüre ich mich unbewusst gebunden hatte, die mich denken ließen, ich hätte all das Glück nicht verdient. Ich müsste funktionieren, allen anderen gefallen, um die Liebe zu bekommen, nach der ich mich so sehnte. Ist es nicht witzig, dass genau das Gegenteil eingetroffen war?
Wir fingen an, das aufzulösen. All die schwarzen Nebel, die meine Gedankenwelt ausmachten, trugen wir ab. Einen nach dem anderen und ich kam mir, meinem eigentlichen Selbst, diesem Licht in mir, immer näher und näher. Und manchmal versank ich komplett darin. Ich konnte das sehen, was du bei Kindern siehst, Michael, das sehen, was du dir trotz all deiner Pein erhalten hast. Es ging mir besser und besser und das Schönste war, zu erleben, dass ich meine üblen Muster nicht auf meine Kinder übertragen musste, so wie meine Eltern die ihren auf uns übertragen haben…Es war eine Erlösung in größerer Tragweite, als du dir das im ersten Moment vorstellen kannst.“
Bei diesen Worten wurde Michael vollends hellhörig und ich ging darauf ein.
„Was du löst, löst du für deine Kinder, und daher ist es so wichtig, dass du dich um dich kümmerst – das ist kein Egoismus. Das ist die beste Art, in der Menschheit zu wirken: Ich gab den Müll nicht an meine Kinder weiter, nicht an die Welt...”
„Warst du dann glücklich?“, flüsterte er.
„Ja, immer öfter, meine Gedanken änderten sich, ich lernte andere Menschen kennen, Menschen, die mich belastet hatten, zogen weg – verschwanden aus meinem Leben. Die Gerüchte versandeten, irgendwann redete kein Mensch mehr davon. Ich gewann echte, tiefe Freundschaften…aber ich fühlte dennoch, dass ich nicht am Ziel war. Es passierten immer noch Dinge, die mich vergrämten. Ich begann zu meditieren, um mir selbst nah zu sein. Es half sehr, aber ich fiel immer wieder aus dieser Glückseligkeit heraus ... es gab eine Kluft zwischen den Zeiten in meinem Meditationszimmer und dem Alltag“.
Michael bewegte sich neben mir. Ich wusste, dies war ihm nicht fremd. Er war in diesem Bliss, wenn er mit Kindern und Musik zusammen war. Seine Frage stand stumm zwischen uns: Wie schafft man es, sich darin zu verankern? Ich schloss die Augen.
„Leid ist etwas, was diese Verbindung immer wieder verhindert“, antwortete ich leise. „Und das habe ich immer und immer wieder gemacht, Michael,... und du tust es auch. Ich habe dieses Leid genährt, es ist zur Gewohnheit geworden und es ist die Daseinsberechtigung des Egos: Der Drang nach Problemen und Dramen, kaum hatte ich etwas gelöst, kam ein neues „Problem“ hoch und so wurde es ein Teufelskreis. Ich hielt fest an meinem Elend. Ich beschwerte mich, wie gemein doch die Leute seien, wie fies meine Familie zu mir war, dass ich doch so eine beschissene Kindheit gehabt hätte...und selbst, als ich aufhörte, es zu erzählen, dachte ich es weiterhin... und da ich mich innerlich nicht davon löste, kam es in Form von äußeren Umständen immer wieder auf mich zu. Meine Frage war: Warum hielt ich so an meiner eigenen Scheiße fest, an dieser leidvollen Geschichte, wenn sie mich doch so belastete? Ich hatte nach wie vor negative Gefühle bezüglich meiner Vergangenheit, die für die ewig gleichen Reaktionen in der Außenwelt sorgten.”
„Okay“, sagte Michael und rieb sich mit den Händen das Gesicht. „Okay, warte mal eine Weile, warte mal.“
In ihm arbeitete es. Regungslos saß er da und versuchte, die Gedanken in sich zu ordnen:
„Das heißt, dass du trotz der jahrelangen, energetischen Arbeit dennoch nicht zu dem kamst, was du dir erhofft hast?
„Nein“, sagte ich und lächelte ihn breit an. Michael sah mich ehrlich entsetzt an. „Das heißt… es gibt keine echte Lösung?“
„Michael, es gibt ein Happy End“, betonte ich. „Denn all diese Arbeit brachte mich zu dir, zu meiner letzten Entknotung...oh, und ich bin dir so dankbar dafür! Mit dir konnte ich das lösen! Aber um das gleich richtig zu stellen: Das bedeutet nicht, dass die Leute einen auf Händen tragen, dich alle lieben und in der Zeitung steht, man sei der beste Mensch
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