Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
hier auf der Erde bin, um all das zu lösen. Oh, ich hatte so die Schnauze voll! Ich wollte das loshaben!“
„Ja, aber was?“, fragte Michael, gar nicht mehr so zurückhaltend wie zu Beginn. „Und vor allem: Wie kann man so was lösen?“
„Dazu müsste ich in meinen Glaubensbekenntnissen richtig weit ausholen“, grinste ich. „Und ob du mich dann noch für sauber hältst, bezweifle ich.“
Michael kicherte, erleichtert, wie mir schien. „Was durchgeknallt angeht, hab ich einen Riesen- Imagevorsprung!“, witzelte er.
Ich lachte und setzte mich auf. „Also, auf die Gefahr hin, dass unser erster Kaminabend schon der letzte ist und du mich köpfen lässt wie König Schariyar alle Frauen, die es nicht geschafft haben, ihn gebührend zu unterhalten…“
„Du bist doch Scheherazade“, sagte Michael belustigt. „Die anderen sind schon vor dir geköpft!“
„Oh, sehr beruhigend! Hast du ein Kabinett wie Heinrich der Achte unten im Keller?“
Ich sah, wie es in Michaels Augen blitzte und erkannte, dass er das für eine gute Idee für ein Musikvideo hielt. Er stand ja auf Gruselgeschichten und Maskeraden und was er mit seinen Tanznummern daraus machte, war fantastisch.
„Willst du es dir aufschreiben?“, fragte ich ihn.
„Nein, das merke ich mir“, antwortete er leichthin und keiner von uns erkannte, dass wir uns gerade telepathisch verständigt hatten.
„Also, sag mir, was willst du hier lösen? Was ist der Sinn? Weißt du, warum du hier bist? Fühlst du für dich einen bestimmten Auftrag?“
All diese Fragen brachte er mit einer solchen Leidenschaft, dass klar war: Es waren seine Fragen. Das, was er so dringend wissen und verstehen wollte.
„Was ist denn deine Erklärung für all diese Dinge?“, fragte ich ihn.
„Nein! Du zuerst, du zuerst!“, rief er, „ausweichen gilt nicht! Gilt nicht! Gilt nicht!“
Er fing an zu beatboxen, fast ungewollt, weil der Rhythmus der Worte in ihm das auslöste. Sein Kopf bewegte sich im „Gilt nicht, gilt nicht“ Rhythmus, er sang es wie ein Kinderlied, und mühelos verschmolzen Buchstaben, Takt und Melodie zu etwas Neuem in seinem Hirn. Er war Kreativität pur. Es war faszinierend, das zu beobachten. Ich fing an zu kichern, er brach ab und fragte:
„Was gibt es da zu kichern? Hört sich das blöd an?“
„Nein! Im Gegenteil! Bloß das letzte Stück...als ob jemand dauerrülpst!“
Michael lachte. „Das muss ich meinen Kindern erzählen“, gluckste er. „Über so was freuen die sich immer!“
„Genau, viel Wasser mit Kohlensäure und los geht’s! Der Jackson-Rülps-Song!“
Kichernd saß er vor mir und dachte ernsthaft darüber nach, ob das was werden könnte. Wieder brach ich in Lachen aus, als ich mir das vorstellte.
„Apropos...“, meinte er. „...das soll nicht Thema des Abends werden, oder?“
„Nein...meine Güte, was für ein Wechsel! Vom Rülpsen auf Sinnfragen!“, giggelte ich. „Ist gar nicht so schlecht! Wir lassen Luft ab!“ und auf seinen gespielt entrüsteten Blick: „Okay, okay....ich fang ja an... unser letztes Thema war...dass jeder von uns aus Gott gemacht ist.“
„Ja – das ist auch das, was ich glaube...aber wenn es so ist, warum tut er mir all das an? Warum gibt es dann soviel Böses? Und... warum ich? Warum ich? Warum gibt es so viele Widersprüche?“
„Vielleicht sind es ja nur scheinbar welche...worin besteht denn für dich der Widerspruch?“
„Das, was du gestern gesagt hast...ich hab nie, nie jemanden willentlich etwas zuleide getan...hab nur Gutes getan...und dennoch scheint das Böse zu siegen. Du hast einfach keine Chance. Am Anfang dachte ich: das sind einfach Schwierigkeiten, die mit dem Erfolg kommen, die Leute sind neidisch...Gier, Macht, Geld, Sex... das sind die Dinge, die zählen und wenn du in dem Spiel nicht mitmachst, wirst du niedergemacht. Warum sind solche Dinge immer stärker als das Gute? Warum lässt Gott das zu? Ich kann mir das Ganze nur als Prüfung erklären: Mit noch mehr Liebe zu antworten, noch mehr zu geben, mich nicht in das gleiche Fahrwasser wie diese...anderen zu begeben...“
Ich bewunderte ihn. Schon an dieser Stelle, schon jetzt, wo ich noch nichts außer Headlines über sein Leben gelesen hatte, noch nicht einmal ahnte, was er alles schon durchgemacht hatte. Wenn es wirklich eine Prüfung gewesen sein sollte, dann hatte er sie mit Bravour bestanden. Er hatte seinen Glauben an Gott nie verloren und er hatte nie aufgehört, zu lieben. Das sollte ihm erst mal
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