Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
einer nachmachen - die meisten wären wohl in Verbitterung geendet. Und was mir den größten Respekt abrang: Er suchte und wollte Antworten.
Ich musste lächeln, weil er in mir ein so warmes und übermächtiges Gefühl hervorrief und schüttelte leise den Kopf.
„Was?“, fragte er.
„Du bist unglaublich“, sagte ich. „Gott, Michael, ich gönne dir alles Glück dieser Welt.”
Michael schaute in die andere Richtung.
„Das wissen einige zu verhindern“, sagte er.
„Was ist für dich eigentlich Glück?“, fragte ich.
„Meine Kinder... meine Musik...die Welt, die Natur, sie ist so schön...es gibt einiges, wofür es sich zu leben lohnt. Ich liebe es, das, was ich spüre in Melodien und Texte umzuwandeln, Gottes Gedanken sichtbar zu machen für andere, das weiterzugeben...den Kindern dieser Welt zu helfen... die Erde blutet... wir müssen etwas tun und ich fühle mich dazu aufgerufen. Gott hat mir dieses Talent nicht einfach so gegeben. Er hat es mir gegeben, um etwas damit zu bewegen, um andere glücklich zu machen...“
„Aber was ist mit deinem Glück?“, fragte ich.
„Das ist mein Glück“, antwortete er erstaunt.
„Aber du bist nicht glücklich“, stellte ich fest. „Du bist alles andere als glücklich. Du leidest.“
Er warf mir einen Blick zu, als wolle er sagen: Ist das ein Wunder?
„Ich meine, was tust du für dein Glück?“, hakte ich nach.
Verständnislos sah er mich an.
„Michael“, begann ich, zögernd, ob ich die nächsten Sätze sagen sollte. Dann schaute ich ihm in die Augen. „Du hast mich gefragt, wie ich mein Desaster gelöst habe...und eine von vielen Erkenntnissen war, dass ich glaube, dass Gott ganz sicher kein Interesse daran hat, uns leiden zu lassen...sozusagen, um uns unser Glück zu verdienen. Das...hört sich so nach Kleinkrämer an... gib mir dein Leid und wenn du genug gelitten hast, dann kriegst du dein Glück? Nee, echt nicht. Ich glaube an einen großzügigen, humorvollen Gott. An einen, der mich liebt, egal, wie viele Fehler ich mache. Ich glaube, dass Leiden die eigentliche Blasphemie ist.“
Michael war zu 100% präsent, so offen und so...aufgeregt. Ja, er war aufgeregt, begierig auf eine Lösung für sich selbst. Er sagte nichts, also fuhr ich fort:
„Weißt du, in dieser Zeit, als wirklich alles in meinem Leben schiefging kam es irgendwann mal so dicke, dass ich dachte... okay, Chirelle, that’s it. Du bist total erledigt, finanziell, sozial...na ja... das war der Punkt, an dem ich anfing, nach anderen Antworten zu suchen, als nur Personen und Situationen die Schuld zuzuweisen.”
Komischerweise war mir nach Lachen zumute, weil mir mit einem Mal und mit totaler Heftigkeit bewusst wurde, wie blöd ich gewesen war und wie sehr mein Ego damals versucht hatte, die Oberhand zu behalten: Recht zu bekommen, Schuldige zu suchen, Urteile zu fällen. Ich war wirklich kurz davor, laut heraus zu lachen und Michael saß mit verständnislosem, verwirrtem Blick vor mir, bereit, den Witz verstehen zu wollen.
„Ja, und?“, fragte er nach.
„Himmel, ich hab ein ganzes Leben lang das gemacht, was so völlig sinnlos ist: Ich wollte das Problem weg haben.“
„Das ist doch verständlich, wenn es das ist, was den Schmerz und das Unglück verursacht“, sagte er.
„Vielleicht verständlich, aber trotzdem der absolute Schwachsinn“, grinste ich. „Alles, was schmerzt, soll weg. Die Person, die dich verletzt, muss weg. Der Geldmangel muss weg. Die Katastrophen sollen weg.”
„Und?“, fragte Mike. „Ist es dir gelungen?“
„Logisch! Nur kam der ganze Müll wieder. Nur war er halt diesmal grün statt rot... aber der gleiche Mist....“, ich schüttelte den Kopf, „und ja, da fiel mir dieses Buch, das wir heute Abend hier haben, in die Hände. Genau diese Stelle. Witzig was? Und...als ich das las ... war mir, als ob mir jemand auf den Kopf geschlagen hätte. Und mir kam der Gedanke: Wenn es also Gott ist, der in mir lebt und es Gott ist, der in jedem anderen steckt, dann ist alles, was mir passiert, auch Gott. Am Anfang hast du die Frage gestellt: Warum tut Gott mir das an? Die Frage müsste also lauten: warum tu ich mir all das an? Warum tust du dir all das an?“
Ich hörte, wie Michael Luft ausstieß, einen ungläubigen Laut von sich gab, sich wegdrehte, ins Feuer starrte. Sein schmaler Brustkorb hob und senkte sich. Wie in Stein gemeißelt saß er da. Alarmiert beobachtete ich ihn. Er sah aus, als ob er Angst hätte. Als ob er gerade etwas
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