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TS 16: Einer von Dreihundert

TS 16: Einer von Dreihundert

Titel: TS 16: Einer von Dreihundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. McIntosh
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nach Hause kam, fand ich Leslie allein und mit gerunzelter Stirn. „Was ist los?“ fragte ich.
    „Aileen ist nicht glücklich“, sagte sie kurz.
    „Warum denn nicht?“
    „Sie fängt an, ihren Vater zu hassen. Und sie hat Angst vor Morgan.“
    „Aileen? Ich glaube, da irrt sie sich in beiden Fällen.“
    „Wieso?“
    „Vor Morgan braucht man keine Angst zu haben. Er ist mehr lästig als gefährlich.“
    Leslie schüttelte ziemlich ungeduldig den Kopf. „Für dich ist er nur lästig. Aber für Betty und Aileen und jeden, der schwächer ist als er, kann er bestimmt gefährlich werden. Und wieso ist es ein Irrtum, wenn sie Ritchie haßt?“
    „Niemand kann ihn leiden, aber er tut doch niemandem was. Er tut doch Aileen oder dir oder Sammy nichts. Warum soll man einen Mann hassen, der einen in Ruhe läßt?“
    „Du redest Unsinn. Bill“, ereiferte sich Leslie. „Ich glaube, wenn einer dich mit dem Revolver bedrohte, würdest du sagen, es macht nichts, solange er nicht wirklich schießt?“
    Ich grinste. „Das ist kein guter Vergleich, Liebling.“
    „Vielleicht denke ich nicht logisch, aber ich will lieber recht haben als logisch denken. Und ich glaube, ich habe recht, und Aileen hat allen Grund … Aber wir wollen lieber erst von Morgan reden. Du sagst, Aileen brauche, keine Angst vor ihm zu haben. Nimm mal an, du wärest Aileen. Möchtest du Morgans Mädchen sein?“
    „Das braucht sie ja nicht.“
    Leslie blickte gen Himmel. „Sieh mal, Bill, habt ihr denn nicht gewußt, was ihr tatet, als ihr die Ehe abgeschafft habt?“
    „Was denn?“
    „Ihr habt alle Sittlichkeitsverbrechen mit abgeschafft. Vergewaltigung, Ehebruch, Bigamie, das sind nun alles keine Verbrechen mehr.“
    „Moment mal! Vergewaltigung ist immer noch ein Verbrechen.“
    „Tatsächlich? Nimm mal an, Morgan entführt Aileen einfach, wie ein Höhlenmensch. Wer kann ihn denn daran hindern? Betty spielt keine Rolle, denn seit ihr die Ehe abgeschafft habt, gibt es ja keine Bigamie mehr. Aileen würde sagen, es sei Vergewaltigung, und Morgan und Ritchie würden das Gegenteil behaupten. An wen könnte sich Aileen wenden? Ritchie ist ihr GL. Die Behörden würden nicht auf sie hören. Sie haben nichts übrig für Leute, die ledig bleiben wollen.
    Sowie also Ritchie sich entschließt, Morgan zu unterstützen, wird Aileen Morgans Freundin, ob sie will oder nicht. Gebrauche doch mal deine Phantasie, Bill. Sag nicht einfach, es kann nicht passieren. Es kann! Es wird! Aileen hat bereits darum gebeten, in eine andere Gruppe versetzt zu werden, und es ist abgelehnt worden. Was soll sie nun tun?“
    „Ich habe dir gesagt“, antwortete ich geduldig, „daß Aileen nicht Morgans Freundin zu werden braucht, wenn sie nicht will. Sie kann ja statt dessen Sammy nehmen.“
    „Sage das noch mal.“
    Ich sagte es noch einmal. Merkwürdigerweise schien Leslie daran nicht gedacht zu haben. Sie murmelte: „Das ist das erste vernünftige Wort, das du heute gesprochen hast.“
    Leslie hatte uns Unrecht getan, als sie andeutete, wir Leutnants hätten nicht gewußt, was wir taten, als wir die Ehe abschafften. Wir waren ein Volk, das um sein Leben kämpfte, ein Volk, das größer und stärker werden mußte. Wir konnten es uns nicht leisten, uns Sorgen um die moralischen Feinheiten der Zivilisation zu machen. Über Bigamie, Ehebruch, Scheidung, Wiederheirat, böswilliges Verlassen und dergleichen ließen wir uns in keinen Streit ein.
    Der einzige Fall, der noch einige Aufmerksamkeit verdiente, so dachten wir, war der, daß ein Mann ein Mädchen begehrte, das ihn nicht wollte, oder umgekehrt. Geschlechtliche Freiheit ist gut und schön, aber die Freiheit muß für beide Teile gelten.
    „Wir können es uns kaum leisten, die Leute Jahre und Jahre darauf warten zu lassen, daß sie sich in jemanden verlieben“, sagte ich. „Ich nehme nicht an, daß Sammy und Aileen sich lieben. Unsere Lebensformen sind anders geworden, das werden sie einsehen. Wenn sie sich nicht gerade unsympathisch sind …“
    „Ich denke schon viel weiter als du“, sagte Leslie gelassen. „Morgen abend, bevor es zu kalt wird, schicken wir sie beide spazieren, damit sie sich ein bißchen kennenlernen und anfreunden. Du redest vorher mit Sammy, und ich spreche mit Aileen.“
    Und so geschah es, daß Sammy nach Jahren einsamen Grämens, Trinkens, Hoffens, Bangens und Arbeitens zu einem Mädchen kam. Es war eine eigenartige, bittersüße Situation – genau das, was eben nur Sammy passieren

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