TS 43: Der Zauberer von Linn
verwundert. „Wurde die Kugel tatsächlich gestohlen?“
Clane schien seine Worte nicht gehört zu haben.
„Ich will ehrlich sein, Czinczar: bewundert habe ich dich niemals. Du hast auf primitive Art und Weise die Macht über dein Volk erlangt und zeigst keine Absicht, dich zu ändern. Ich selbst vertrete die Meinung, daß zur Erhaltung einer Machtposition nicht immer Mord und Totschlag gehören muß. Du bist für meinen Geschmack zu blutrünstig. Muß man denn immer jemand in den Rücken stechen, um seine eigene Stellung zu stärken?“
Er unterbrach sich und trat einen Schritt zurück. In seine Augen kam ein kalter, gefährlicher Glanz. Kalt sagte er:
„Doch genug, Czinczar. Willst du mir den Aufenthaltsort der Kugel verraten, oder willst du hängen?“
Der Barbar zuckte die Achseln. Obwohl äußerlich von stoischerGelassenheit, ahnte er in seinem Innern die drohende Gefahr. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Aber er hatte mit seinem logischen Verstand seine Chancen genau ausgerechnet und wußte, daß Clane ihn nicht töten würde, bevor er das Versteck der Kugel erfahren hatte.
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, gab er zurück. „Ich weiß nichts von der Kugel. Von dir erst erfuhr ich, daß sie gestohlen wurde. Welche Pläne hattest du mit mir? Ich bin sicher, daß wir uns einigen werden.“
„Bevor ich die Kugel nicht wiederbekomme, kann es zwischen uns keine Einigung geben. Du scheinst davon überzeugt zu sein, daß ich es nicht wagen werde, den Dieb meiner Kugel zu hängen. Nun gut, ich werde dir das Gegenteil beweisen. Kannst du selbst die Stufe emporsteigen, oder benötigst du Hilfe?“
Czinczar wußte mit tödlicher Sicherheit, daß es in dieser Situation keine Gegenwehr geben konnte. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und schritt die Stufen zum Galgen empor. Er wartete nicht auf den Henker, sondern streifte sich selbst die Schlinge über den Kopf. Obwohl er innerlich nicht von seiner These abging, war er nun doch bleich im Gesicht geworden. Zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß seine Laufbahn als Diktator der Barbaren von Europa zu Ende sein könnte.
Er sah, wie Clane einem Offizier winkte, der sich daraufhin in Bewegung setzte und die Stufen emporschritt, um neben Czinczar Aufstellung zu nehmen. Seine Hand legte sich auf den Hebel, der die Plattform unter den Füßen des Verurteilten wegziehen würde. Abwartend sah er auf Clane, der den rechten Arm erhoben hatte.
Der Mutant sagte: „Deine letzte Chance, Czinczar: die Kugel zurück, oder du stirbst noch in dieser Minute.“
„Ich habe die Kugel nicht“, entgegnete der Barbar mit ruhiger und fester Stimme, die absolute Entschlossenheit verriet. Selbst Clane bemerkte das feine Zittern nicht.
Sein Arm senkte sich.
Der Barbar fühlte, wie die Klappe unter seinen Füßen nachgab und verschwand. Er stürzte in die Tiefe …
7. Kapitel
Er fiel nur einen halben Meter, dann landete er so unverhofft auf einer zweiten Klappe, daß sein Körper schmerzhaft zusammengestaucht wurde. Die Schlinge an seinem Hals riß ihn in die aufrechte Stellung zurück.
Er stand zwar nun ein wenig tiefer, aber deutlich sah er, wie seine Leute sich auf die Offiziere Clanes stürzten und ein Handgemenge begannen, um zu ihm zu gelangen. Für einen Augenblick überlegte er, ob es vielleicht nicht doch besser sei, wenn sie gemeinsam versuchten, den Gegner zu überwältigen, aber dann schüttelte er den Kopf. Die Tatsache, daß er noch lebte, bewies, daß seine Berechnungen stimmten.
Er rief ein lautes Kommando. Seine Leute ließen sofort von ihrem Vorhaben ab und standen ruhig. Erwartungsvoll sahen sie zu ihm empor.
„Wenn mein Leben wirklich in Gefahr ist“, sagte er zu ihnen, sprach aber auch Clane damit an, „beweist das nur, daß Lord Clane seinen gesunden Menschenverstand verloren hat. Das trifft auch für den Fall zu, daß ich wirklich die Kugel gestohlen hätte.“
Das war zweifellos ein halbes Geständnis. Clane überlegte und fragte dann:
„Angenommen, Czinczar, du hast die Kugel – warum sollte sie dein Leben schützen?“
„Weil du – solange ich lebe – eine Chance hast, sie zurückzuerhalten. Bin ich aber tot, wird sie für immer für dich verloren sein.“
„Und warum willst du sie behalten, wenn du nicht weißt, was du mit ihr anfangen kannst?“
„Wenn ich sie hätte, würde ich zuerst Versuche mit ihr anstellen, bis ich Kontrolle über sie erhielte. Schließlich wußtest du auch nichts von ihr,
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