TS 72: Das Erbe von Hiroshima
August 1953 begann damit, daß Bob Britten seiner Frau zuvorkam und zuerst das Kinderzimmer betrat, um seiner Tochter zum Geburtstag zu gratulieren. Ann wurde am heutigen Tage acht Jahre alt.
Er setzte sich auf den Rand ihres Bettes und betrachtete das Gesicht seines Kindes. Ann schlief noch. Schweigend wartete er, bis Marry zur Tür hereinkam und sich zu ihm gesellte.
„Vielleicht sollten wir sie schlafen lassen“, meinte sie, als Bob sie fragend ansah. „Du kannst ihr immer noch heute mittag gratulieren. Jetzt in den Ferien tut ihr der lange Schlaf sicherlich recht gut.“
Er nickte.
„Vielleicht sollte ich das wirklich tun, Marry. Aber wenn du ihr verrätst, was ich ihr schenken will, wenn du mir diese Überraschung verdirbst, werde ich übers Wochenende allein zum Fischen fahren.“
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
„Du kannst dich auf meine Verschwiegenheit verlassen“, versicherte sie ihm und erschrak, als Ann plötzlich die Augen aufschlug.
„Was ist es denn, Dad?“ fragte Ann arglos und rieb sich verschlafen die Augen. Doch dann richtete sie sich in ihrem Bettchen auf. „Ich habe ja Geburtstag heute …!“
„Happy Birthday to you, Happy Birthday to you …“, begann Bob mit etwas krächzender Stimme zu singen, was Ann ein verwundertes Lachen entlockte. „Meine besten Glückwünsche, möge Gott dir immer Gesundheit schenken …“
„Bekomme ich sonst nichts geschenkt?“ fragte Ann enttäuscht und sah ihre Mutter an, als könne sie von ihr Hilfe erwarten.
„Gratuliere herzlich“, sagte Marry und streichelte ihr über die Haare. „Natürlich soll Gesundheit nicht das einzige Geschenk zu deinem Geburtstag sein; sie ist eine Nebengabe, um die wir nur bitten können. Dad hat eine Überraschung für dich.“
„Was ist es denn, Daddy?“
Aber Bob Britten hatte sich bereits erhoben.
„Auf keinen Fall werde ich dir zu Ehren noch einmal ein Lied singen“, versicherte er. „Du mußt bis zum Mittagessen warten, dann wirst du es erfahren. Ich fahre heute nach dem Essen nicht mehr ins Büro, sondern feiere deinen Geburtstag. Wir alle zusammen werden ihn feiern.“
„Darf ich jemand einladen?“
Bob warf seiner Frau einen ratlosen Blick zu.
„Leider geht das nicht, Ann, weil wir fortfahren.“
Ann sprang auf und stand im Bett.
„Fortfahren? Dad auch? Wohin?“
Bob Britten hatte bereits die Tür erreicht.
„Das verrate ich noch nicht, mein Kleines. Warte bis heute mittag und quäle Mom nicht mit unnötigen Fragen. Wenn sie es dir sagt, wäre mir eine schöne Überraschung verdorben. Sei also schön brav, um so größer ist dann die Freude nachher.“
Er winkte ihr noch einmal zu und verschwand.
Der Vormittag verging für Ann wie im Fluge, und sie schien ganz vergessen zu haben, daß Daddy noch eine Überraschung für sie bereithielt. Sie spielte mit der großen, schönen Puppe, die Mom ihr geschenkt hatte, und blätterte in dem bunten Bilderbuch, wo ihr von jeder Seite freundlich dreinblickende Tiere entgegensahen.
Mittags kam Dad und verriet seine Überraschung: Er hatte sich Urlaub genommen für den Rest des Tages und den folgenden. Man würde gemeinsam zu Onkel Billys Farm hinausfahren und bis morgen bleiben. Vielleicht sogar bis übermorgen, wenn das Wetter schön blieb.
„Zu Tante Mira und Onkel Bill!“ jubelte Ann vergnügt und fiel ihrem Vater um den Hals. „Das ist also deine Überraschung? Wie sehr ich mich freue. Wann fahren wir?“
„Nach dem Essen, mein Kind. Marry, vergiß auf keinen Fall, das Badezeug einzupacken. Sie haben einen kleinen See draußen.“
„Schon daran gedacht“, lächelte Marry und bat zu Tisch.
*
Die Farm von Marrys Bruder war ein weit ausladendes Gebäude mit vielen, kleineren Stallungen und Scheunen, umgeben von uralten Eichen und blühenden Sträuchern. Der Brunnen mitten auf dem Hof vervollständigte das Bild absoluter Unabhängigkeit von der übrigen Welt ebenso wie der auf einem hohen Mast befestigte Windgenerator, der für den notwendigen Strom sorgte. Die Flügel drehten sich träge, denn von einem Windhauch war kaum etwas zu spüren. Es war heiß und drückend.
Onkel Bill und Tante Mira erschienen in der Haustür und winkten den Gästen erfreut zu. Mit infernalischem Indianergeheul brachen aus den nahen Büschen zwei federgeschmückte Gestalten, schwangen hölzerne Tomahawks und forderten die Ankömmlinge zur bedingungslosen Übergabe auf.
Ann stieß einen schrillen Schrei aus und klopfte sich dabei in
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