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TS 72: Das Erbe von Hiroshima

TS 72: Das Erbe von Hiroshima

Titel: TS 72: Das Erbe von Hiroshima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Darlton
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Schrei aus. Ann zuckte unwillkürlich zusammen und schaute auf Mabel. Als sie Sekunden später das blaue Heft suchte, lag es neben ihrem Tisch auf dem Fußboden.
    Miß Turner beendete abrupt ihre Überwachungstätigkeit und kam mit gestrengen Blicken nach vorn. Strafend musterte sie ihr größtes Sorgenkind Mabel Duncan.
    „Was hast du denn? Na los, sprich dich aus!“
    Mabel zitterte am ganzen Körper. Sie war schneeweiß im Gesicht.
    „Das Heft – Miß Turner … es hing in der Luft …“
    Die Lehrerin schüttelte unwillig den Kopf.
    „Du hängst auch in der Luft, wenn du so weitermachst“, eröffnete sie dem Kind. „Welches Heft meinst du?“
    Ann saß reglos und schielte hinab zur Erde, wo das so sehr Gewünschte greifbar nahe neben ihren Füßen lag. Sie brauchte nur zuzugreifen – aber sie wagte es nicht.
    „Ich weiß nicht, was für ein Heft“, schluchzte Mabel. „Es schwebte plötzlich neben meinem Tisch.“
    Miß Turner runzelte die Stirn.
    „Was redest du für einen Unsinn, Mabel? Wie kann ein Heft in der Luft schweben? Das gibt es doch gar nicht!“
    „Es ist aber wahr“, heulte Mabel los und drehte sich dann zu Ann um. „Nicht wahr, du hast es doch auch gesehen?“
    Der Blick der Lehrerein wandte sich nun Ann zu.
    „Nun?“ sagte sie.
    Ann stand zögernd auf und suchte nach Worten. Endlich stammelte sie:
    „Mabel spricht die Wahrheit. Das blaue Heft mit den Lösungen – dort auf ihrem Pult – es fiel plötzlich hier auf die Erde. Es liegt neben meiner Bank.“
    Und sie bückte sich, nahm das Heft auf, hielt es einen Augenblick krampfhaft fest, als wolle sie alles darin enthaltene Wissen in sich aufsaugen, und reichte es dann der Lehrerin.
    Miß Turner nahm es wortlos. Auf ihrem Gesicht zeigte sich zuerst Erstaunen, dann Unglauben und schließlich offenes Mißtrauen.
    „Kannst du mir erklären, Ann Britten, wie das Heft neben deinen Platz geraten ist? Wer hat es vom Pult geholt?“
    Ann begriff plötzlich, in welchen Verdacht sie geraten war. Sicher, sie hatte den Wunsch verspürt, das Heft zu besitzen, aber niemals wäre ihr eingefallen, es zu stehlen. Sie wurde rot und stand da wie mit Blut übergossen. Hinter ihr flüsterten die Mädchen, und jemand sagte laut: „Streberin!“
    „Ich habe es nicht getan!“ heulte Mabel Duncan verzweifelt, obwohl niemand sie beachtete. „Ich war es nicht …“
    „Halt den Mund!“ fuhr Miß Turner sie barsch an, ehe sie Ann wieder in die Zange nahm. „Nun, willst du mir nicht die Wahrheit sagen, ehe ich dich bestrafe?“
    Ann wußte, daß sie ungerecht bestraft werden würde und fühlte sich bereits als unschuldige Märtyrerin. Was konnte sie dafür, wenn eine unsichtbare Fee ihren Wunsch gehört und erfüllt hatte? Vielleicht würde Dad eine Erklärung wissen.
    „Es kam einfach zu mir, Miß Turner. Meine Rechenaufgaben habe ich schon längst gelöst. Hier sind sie …“
    Sie reichte der Lehrerin ihr Heft, die es aufschlug und hineinschaute. Dann warf sie Ann einen schnellen Blick zu, ging zu ihrem Pult und verglich die Lösungen mit denen in dem blauen Heft. Endlich sah sie auf.
    „Du hast alle Aufgaben richtig gelöst“, sagte sie ernst. Und als Ann den seltsamen Zwischenfall schon zu vergessen und über das ganze Gesicht zu strahlen begann, fügte sie hinzu: „Du hast also doch abgeschrieben.“ Sie wandte sich an die Klasse: „Und von euch hat niemand gesehen, wie Ann Britten das Heft vom Pult nahm?“
    Das Kichern und Flüstern verstummte. Einige der Mädchen schüttelten den Kopf.
    Miß Turner betrachtete Ann aufmerksam. Sie traute der niedlichen Tochter des bekannten Gelehrten keine Unehrlichkeit zu, aber diese Sache mit dem fliegenden Heft ging über ihren Verstand. Und wenn Ann das Heft wirklich nicht genommen hatte, wenn es wirklich zu ihr gekommen war …
    Unsinn! Das gab es ja überhaupt nicht!
    „Wir sprechen später noch darüber“, sagte sie schließlich und legte das blaue Heft vor sich auf das Pult und setzte sich. Eine Weile betrachtete sie es mit leisem Vorwurf, dann legte sie das zweite Heft dicht daneben. Wie immer hatte Ann ihre Arbeit als erste abgegeben.
    Und gerade das machte den Diebstahl noch unwahrscheinlicher.
    Als Ann mittags die Schule verließ und sich von ihren Kameradinnen trennte, um in das Auto ihres Vaters zu klettern, hatte sie den Vorfall bereits vergessen.
    Und Miß Turner kam auch nicht mehr auf die Sache zurück. Wahrscheinlich hatte sie Angst, sich unsterblich zu blamieren.

 
2.
     
    Der 6.

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