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TS 83: Der Mann, der ein Roboter war

TS 83: Der Mann, der ein Roboter war

Titel: TS 83: Der Mann, der ein Roboter war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schenk
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würde sein Gehirn irgendwann in einen Humanoidenkörper verpflanzen. Doch hatte sich ZZ 99 zu sehr an seinen Körper gewöhnt. Und war er damit nicht ein halber Mensch, eine Art Halbgott? Prometheus der Roboter?
    Der Schrauber senkte sich mit leisem Klappern seiner Blattsteuerung. Der Windzug spielte mit den schwarzen Haaren von Keiths Perücke; sein Körper fröstelte. ZZ 99 stieg ein und tastete auf Handsteuerung. In großem Bogen hob die Maschine ab.
    ZZ 99 nahm Kurs auf Dr. Lembecks Wohnung. Er fragte sich, ob er Keiths Körper der Virologin als Testperson zur Verfügung stellen sollte. Es war ein gesunder Körper und ein Gehirn, das durch Schmerzen oder Fieber kaum in seiner kritischen Beobachtungsfunktion beeinträchtigt werden konnte. ZZ 99 war die ideale Versuchsperson.
    Den ganzen Flug über dachte ZZ 99 darüber nach, ob sein Vorhaben richtig war. Er überlegte noch immer, als der Schrauber bereits auf Dr. Lembecks Haus stand.
    Kurz vor Mitternacht startete er den Schrauber endlich.
    Nein, Angst war es nicht, was ihn zu einem anderen Entschluß gebracht hatte; es war eine andere menschliche Schwäche: Egoismus.
    Sein Problem war nicht damit gelöst, daß er aus dem ,Leben’ schied. Immer gewohnt, seine Gedanken und Handlungen zu einem abschließenden Ergebnis zu führen, widerstrebte es ihm, die letzten Sandkörnchen in seiner Hand wegzuwerfen.
    Sie hatten den Weg der Bestimmung zu fließen.
     
    *
     
    Am Anfang war die Welt. Und die Welt war dunkel in ihrem Sinn wie ungeformter Ton. Der Mensch formte sie nach seinem Willen. Er schuf Städte und Straßen, die die Städte verbanden. Er schuf Länder und Meere, Wälder und Felder. Er schuf stählerne Vögel, stampfende Maulwürfe, riesige Fische, die auf dem Wasser schwammen. Er schuf glühäugige Wesen, die über das weite Land rasten. Und sie gehorchten seinen Gesetzen. Zuletzt schuf er den Robot nach seinem Bilde. Und der Robot war gut. Der Mensch würde ihm die Freiheit geben und schlafen, tausend Jahre lang, aber es würde nur ein Tag sein in seiner Geschichte. Und er würde sehen, daß die Roboter ihm dienten, wenn er erwachen würde.
    ZZ 99 saß auf den Stufen vor Keiths verkohltem Haus. Er ordnete mit sanften Händen die Fetzen, die von Joans Kombination übriggeblieben waren. Seine Gedankenströme waren schnell wie das Licht, und er vermochte nicht, sie aufzuhalten.
    Die Menschen, dachte ZZ 99, haben das vollkommene Geschöpf gebaut. Edel, klug und weise, schön und unsterblich. Haben sie nicht Gott selbst übertroffen?
    Nein!
    Sie haben den göttlichen Funken des Lebens vergessen. Sie haben vergessen, den toten Abdruck ihres Selbst anzublasen, und es wurde das bedauernswerteste Geschöpf, denn es war nicht fähig … zu lachen und unfähig zu weinen.
    Der Mensch ist nur eine Stufe auf der unendlichen Leiter hinaufgestiegen.
    Keiths Hände strichen mit unsagbar zarten Fingern über das, was von Joans Körper noch zu erkennen war: zerfetztes Bioplasma, verbrannte blonde Haare, ein Konverter, der durch trampelnde Füße ausgeschaltet worden war. Und doch ein Rest des fernen Lebens.
    Die Nacht war ungewöhnlich still. Hin und wieder knisterte oder knackte es in den rauchenden Trümmern hinter ZZ 99, und die auflodernde Glut beleuchtete kurz den sitzenden Schatten, auf der Treppe. In der kühlen Nachtluft war der Geruch verbrannten Holzes wie festgebannt.
    „Ein Mensch ist tot“, sagte ZZ 99. „Ein Mensch, der lachen und weinen konnte.“
    Was ist das bloß: lachen und weinen? Blitzableiter statisch parapsychologischer Energien … Ein trockener Ausdruck für die Inkarnation lebender Wärme!
    Vielleicht ein – Wellenbrecher? Wenn der Verstand festes trockenes Land ist und das Meer die Verkörperung der vielschichtigen Gefühle oder, genauer, des verstandesmäßig nicht erfaßbaren unlogischen Chaos der Umwelt, dann muß ein Wellenbrecher da sein, der die heranstürmenden Wellen der Unlogik bricht und ableitet.
    Ein guter Vergleich. Ein besserer Vergleich!
    ZZ 99 erfaßte nur noch unbewußt die Laute seines Monologes. Sein ganzes Bewußtsein war auf eine Frage gerichtet. Eine Frage, die für ihn das Leben bedeutete:
    ,Warum kann ich nicht wirklich lachen? Oder von ganzem Herzen weinen? Warum muß immer ein Mensch daneben stehen, damit meine Verhaltensschablonen ansprechen? Warum? Warum?’
    Sein dichterischer Vergleich gab ihm die logische Antwort, und es wurde ZZ 99 nicht mehr bewußt, daß er damit bereits im Begriff stand, die scharfe Grenze der

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