TS 83: Der Mann, der ein Roboter war
Wachstum. Gut, ein Roboter wächst nicht im natürlichen Sinn. Aber betrachten wir es unter diesem Gesichtspunkt: Das menschliche Gehirn besteht aus Genen und Neuronen. Roboter denken mit Kristallen, metallischen und nichtmetallischen Leitern. Sie wissen, daß diese Kristalle in Nährlösungen gebettet sind, wodurch die Kapazität des Gehirnes im Laufe des ,Lebens’ wächst. Organisch wächst ein Wesen durch Zellstreckung und Zellteilung. Zur Zellteilung ist körpereigene Substanz notwendig. Ich behaupte, die Spezifizierung körperfremder Substanz, wie es die Herstellung eines Erweiterungsbausteines künstlicher Gehirne darstellt, ist die logische Grundstufe dazu. Das Brigg’sche Virus, das übrigens in nächster Zeit wirksam bekämpft werden kann, meine Damen und Herren, ist nichts als ein Kristall mit eingeprägtem Wachstumsauftrag. Eine Amöbe nimmt körperfremde Substanz auf und gleicht sie an. Eine Pflanze assimiliert. Die Roboter aber spezifizieren bewußt körperfremde Substanz. Sollte diese Form des Wachstums weniger hoch entwickelt sein?“
Die Mitglieder des Obersten Rates hörten gespannt zu. Sie schienen zu ahnen, daß sie einen historischen Augenblick in der Menschheitsgeschichte miterlebten. Im Saal war es so still wie in einer Kirche.
„Kommen wir zu Punkt vier, der Fortpflanzung. Dafür gilt im wesentlichen das, was ich über das Wachstum sagte. Als äußeres Kennzeichen bleibt noch fünftens: der Tod. Solange ein Robot nicht lebt, ist er tot. Ein Unterbrechen der bisher genannten Funktionen bedeutet also Tod. Und eine Verschrottung entspricht symbolisch der Verwesung, die ja nichts anderes ist, als die Vorbereitung für neues Leben.“ Keith setzte sich.
Madame Szenczowska bat ums Wort. Ihr gelber Umhang schien kein ovales Stück Stoff zu sein, mit einem einfachen Loch in der Mitte, nein, er mußte, so unsinnig es auch scheinen mochte, von einem Maßschneider geschaffen worden sein. Sie trug den Umhang unnachahmlich elegant halb unter dem Arm und sagte in ihrer gepflegten Art: „Dr. Keith, Ihre Ausführungen zwingen mich zu ungeteilter Bewunderung, sie sind ebenso kühn wie ungewöhnlich. Es gibt aber noch ein zweites Kriterium neben den äußeren Kennzeichen, auf das diese Frage untersucht werden muß. Können Sie sagen, ob Roboter das besitzen, was wir unter Seele verstehen?“
Keith lächelte höflich. „Aber gewiß, Madame. Ich bin davon genauso überzeugt wie davon, daß Sie persönlich eine ungewöhnlich edle Seele besitzen. Aber beweisen kann ich es weder in Ihrem noch im Falle eines Humanoiden!“
Ein Lächeln glitt über die Gesichter der Ratsmitglieder, und die schöne Senatorin errötete leicht.
Keith wandte sich noch immer lächelnd an Betty. „Beta 01, würden Sie bitte die derzeitige Auffassung des Begriffes Seele skizzieren?“
„Ja, Sir.“ Betty senkte bestätigend den Kopf. „Seele ist eine unlösbare Begleiterscheinung der Intelligenz und des Bewußtseins oder eine unvermeidbare Folgeerscheinung davon. Intelligenz und Bewußtsein sind Voraussetzungen für den philosophischen Mechanismus Wissen – Glauben.
Bis zur letzten Konsequenz gefolgert, erscheint uns ein abstraktes Wissen als nicht vorhanden. Der Mensch glaubt nur zu wissen und weiß damit, daß er glaubt. Glaube jedoch setzt etwas voraus, das wir Seele nennen, von dem wir aber noch nicht genau wissen, was es wirklich ist. Daraus folgt zwingend: Seele und selbstbewußte Intelligenz sind untrennbare Bestandteile hochentwickelten Lebens.“
Sie verneigte sich leicht und setzte sich wieder.
„Danke, Beta 01.“ Keith nickte ihr zu. „Wenn Sie gestatten, möchte ich dem eben umrissenen Beweis weitere Gesichtspunkte hinzufügen.
Die Menschen haben den humanoiden Roboter nach ihrem eigenen Vorbild gebaut. Es ist daher nicht verwunderlich, daß noch mehr Parallelen zum menschlichen Leben vorhanden sind.“ Er hob eine Mappe von dem Stapel vor sich, die er, wie die anderen vor dem auch, dem Ältesten Rat reichte. „Kriterium drei: das Unterbewußtsein, oder besser die Triebe. Das dritte Grundgesetz der Robotik ist genau wie die beiden ersten den Robotern nicht bewußt; und gerade dieses Gesetz der Selbsterhaltung entspricht vollkommen dem äquivalenten menschlichen Trieb.
Oder betrachten Sie den Nahrungstrieb! Ein Roboter richtet seine Schritte automatisch zur nächsten Reparaturzentrale, wenn er fühlt, daß sein Konverterbrennstoff zur Neige geht. Der Einwand, daß dies nur alle zwanzig, dreißig Jahre
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