TS 85: Endstation Zukunft
nur.“
„Oh, nein!“ rief Mallory aus. „Ich weiß es sogar ganz genau! Es ist doch ein schönes Gefühl, wenn man merkt, daß die Leute immer noch nicht allwissend geworden sind … Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, Horatio, als sich deine Telepathie träumen läßt!“ Er lachte über sein verballhorntes Zitat, lachte lauter und lauter.
Sie schlug ihm ins Gesicht. Er hörte plötzlich auf zu lachen und starrte aus dem Fenster. „Danke“, sagte er schließlich mit unsicherer Stimme. „Es tut mir sehr leid.“
„Sie hatten zu malen begonnen, bevor Sie den Latakia geraucht hatten“, sagte sie scharf. „Wieso haben Sie dann mich gemalt?“
„Es war in einem Traum“, murmelte Mallory tonlos. „Es war in einem Traum, und die Augen eines unbekannten Mädchens begannen mich zu verfolgen. Jetzt habe ich Sie getroffen, und alles hat sich verändert. Man kann die Zukunft nicht lieben – man kann sich vor ihr nur fürchten, sehr fürchten. Oder verrückt werden … Wann bin ich gestorben?“
Einen Augenblick lang war sie überrascht. „Am Ende Ihres Lebens“, sagte sie dann sanft. „So sterben wir doch alle – am Ende unseres Weges.“
„Das Jahr!“ drängte Mallory. „In welchem Jahr? Sie haben doch behauptet, Sie wüßten es!“
„Ich weiß es, aber es hat keinen Sinn, wenn ich es Ihnen sage. Außerdem weiß ich gar nicht, in welchem Jahr Sie Ihre Welt verlassen haben.“
„Neunzehnhundertvierundsechzig“, antwortete er. „In welchem Jahr bin ich gestorben?“
Das Mädchen sah ihn nicht an. Zum erstenmal schien sie ihrer Sache nicht mehr ganz sicher zu sein. „Neunzehnhundertachtzig“, sagte sie dann zögernd. „Ich sollte es Ihnen eigentlich nicht erzählen – und Sie hätten mich nicht fragen dürfen!“
„Lügnerin“, gab Mallory zurück. „Es ist immerhin ein Trost, daß die Frauen noch immer nicht besser zu lügen gelernt haben. Sie hätten vielleicht Harrys hereinlegen können, aber nicht mich – ich habe Ihre Augen gemalt …“
„Und was haben Sie darin gesehen?“
„Die Wahrheit.“
„Was ist die Wahrheit?“
„Fragen Sie doch den nächsten Polizisten!“ neckte er sie.
„Es ist Zeit, daß Sie zurückkehren“, mahnte sie.
Mallory zeigte auf die Uhr. „Ich habe die Zeit abgeschafft. Die Zeit wird stillstehen, bis ich es zulasse, daß sie sich wieder bewegt.“
„Es ist gefährlich, hierzubleiben …“
„Ich fürchte mich nicht davor“, prahlte er. „Ich habe die Zeit besiegt, um die Frau zu finden, die ich suchte – und dann soll ich zurück? Sie hätten einen heimatlosen Geist wie mich nie in Versuchung führen dürfen, meine Liebe!“
Er konnte nicht mehr sehr gut sehen, aber ihre Augen konnte er immer noch erkennen. In ihnen las er, daß er mit seinen letzten Worten recht gehabt hatte. Aber jetzt war es schon zu spät.
„Wie heißt du?“ fragte er und schwankte wie ein Betrunkener, während er aufrecht zu stehen versuchte. „Was für einen Namen soll ich ausrufen, wenn die Sterne dunkel werden? Wessen Bild soll ich in diesem leeren Raum ansehen?“
Dann verschwand der Raum vor seinen Augen. Er konnte sie nicht mehr erkennen, aber als sie ihm antwortete, war ihre Stimme ganz nah.
„Ich bin Ann“, flüsterte sie, „und du bist John. Weißt du nicht, daß wir nicht zusammenbleiben können, weil wir in verschiedenen Zeiten leben? Du mußt zurück! Du mußt in deine Welt zurückkehren!“
„Ann, wo bist du? Ich kann dich nicht mehr erkennen! Gib mir deine Hand!“
Sie reichte ihm ihre Hand und wollte ihn zu seinem Bett führen. Aber sie kam nicht dazu, denn er umarmte sie mit überraschender Kraft und hielt sie umschlungen.
Die Dunkelheit glich einem Strudel, aber langsam glätteten sich die Wasser und wurden wieder ruhig.
Der Hammer schlug wieder und wieder zu. Mallory erwachte und hob langsam den Kopf. Dann öffnete er die Augen und versuchte herauszubekommen, wo der Hammer war. Die Zeiger der Uhr zeigten auf elf Uhr zwanzig. Die Hammerschläge wurden zu einem gleichmäßigen leisen Ticken.
Mallory sah sich verwirrt und ängstlich um, weil er fürchtete, daß sich das Zimmer wieder in einen anderen zeitlosen Traum auflösen würde. Aber das Atelier behielt seine Form und veränderte sich nicht. Der einzige Beweis dafür, daß er nicht nur geträumt hatte, war die zweite Tasse, die auf dem kleinen Tisch am Fenster stand.
Die Tasse war noch warm – trug immer noch geringe Spuren von Lippenstift.
Er hörte das Echo einer Stimme
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