TS 88: Das Ende der Zeitreise
Amnahas’ Augen nur die Tiere gesehen. Jetzt drehte er sich zum erstenmal zur Seite. Seine Augen glänzten, als er links und rechts seines Standortes die lockere Kette der Gefährten erspähte. Reglos wie Statuen ragten sie aus ihrer Umgebung heraus, hoben sich schwach gegen den grauen Himmel ab. Amnahas’ Herz schlug höher. Sie warteten auf sein Zeichen, denn er hatte den Jagdzauber vollendet.
Doch Amnahas war ein erfahrener Jäger, der genau wußte, wann die Zeit zum Beginn der Jagd gekommen war. Zuerst mußte die Herde den größten Teil des Eises überquert haben.
Endlich war es soweit!
Amnahas hob den Arm mit dem Speer und stieß ihn dreimal in die Luft. Dann sprang er mit einem gewaltigen Satz von seinem Felsenplatz und eilte in weiten Sprüngen durch den hohen Schnee. Der schwache Wind, der ihm ins Gesicht blies, war sein Verbündeter. Er verhinderte, daß die Rene vorzeitig Witterung von ihren schlimmsten Feinden, den Menschen, bekamen.
Als sie die Jäger sahen, war es zu spät für die erschreckt durcheinander drängenden Tiere. Sie verkeilten sich hoffnungslos; und die Jäger hatten nichts weiter zu tun, als ihre Wurfspeere zu schleudern.
Amnahas sah nur das Tier, das, mit dem Speer im Blatt, auf die Knie brach und mit dem Geweih wild um sich schaufelte. Die scharfe Feuersteinklinge in der Faust, stürzte sich der Jäger auf die Beute, brachte sie vollends zu Fall und, während die Knie den Kopf niederhielten, fuhr die Klinge zielsicher in den zuckenden Hals. Gleichzeitig mit dem qualvollen Röcheln schoß ein dicker Blutstrom empor. Amnahas beugte sich über die warme, lebenspendende Quelle und trank das Blut in gierigen Zügen. Der Rest versprudelte im Schnee.
Und weiter ging die Jagd.
Als die Herde schließlich doch geflohen war, hatten die Jäger soviel Beute gemacht, daß ihre Nahrungssorgen für lange Zeit beseitigt waren. Jubelnd tanzten sie um die erlegten Rene. Dann befahl Amnahas den Aufbruch. Die Fellstricke wurden hervorgezogen, die Hinterbeine der Tiere gefesselt; und je einer der Männer schlang einen festen Lederriemen durch die Fessel, warf ihn sich über den Rücken und stemmte die Füße gegen das Eis und den Schnee. So zogen sie heimwärts. Der Rest der Beute blieb liegen. Sie würden ihn sich holen, wenn die erste Fracht glücklich in der Höhle abgeladen war.
Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg – und ein gefahrvoller.
Als hätte ihnen die Natur nur soviel Zeit geben wollen, daß sie die Beute erlegen konnten, setzte der Schneesturm jetzt mit vermehrter Gewalt ein. Bald kämpfte sich jeder für sich allein vorwärts, das Gesicht und die Augen von Schnee verklebt. Nur ab und zu tauchte ein Schatten im winzig gewordenen Gesichtsfeld auf – tröstende Gewißheit, daß man die Gefährten nicht völlig verloren hatte.
Plötzlich zuckte Amanahs zusammen.
Er hielt ruckartig an und lauschte in das Toben des Sturmes. Unverkennbar hatte aus dem dahinfegenden und kreiselnden weißen Vorhang ein neuer – aber nicht weniger bekannter – Ton mitgeklungen, der dem Mann das Blut in den Adern gerinnen ließ.
Jetzt wieder.
Wölfe!
Ein klagender Laut stieg hinauf in den verhängten Himmel, brach unvermittelt ab und wurde von stoßweisem, bellendem Heulen abgelöst, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Amnahas dachte an die zurückgelassene Beute. Sie war für die Sippe verloren, denn zu dieser Jahreszeit wuchsen die Wolfsrudel zu großen, hungrigen Horden an, vor denen nichts sicher war – nichts, außer der Geweihmauer einer Herde Rene, denen selbst das messerscharfe Wolfsgebiß nichts anhaben konnte.
Amnahas setzte sich trotz des Sturmes in leichten Trab. Bald rann ihm der Schweiß in die Augen. Die Lungen keuchten, und die Beine versuchten, den Vorsprung vor dem hungrigen Rudel zu halten.
Doch vergebens.
Amnahas versuchte gerade, seine Beute durch den hüfthohen Schnee des Hanges nachzuziehen, als aus dem Schneetreiben ein grauer Schatten auftauchte und sich mit rudernden Vorderläufen heranarbeitete. Mit einem zornigen Schrei packte Amnahas seinen Speer fester und schnellte herum. Gleichzeitig mit dem Wolf langte er bei dem bereits steifgefrorenen Ren an. Mensch und Tier prallten mit furchtbarer Wucht aufeinander.
Stumm, mit schlagenden Läufen, verendete der graue Räuber.
Stumm stand auch der Mensch, die Hände gegen den Hals gepreßt, aus dem ein unstillbarer Blutstrom zwischen den Fingern hindurchquoll.
Wenig später erreichten die Jäger den
Weitere Kostenlose Bücher